Schweigen über Chinas Kulturrevolution

■ Zhu Rongji hält trotz Bekenntnis zur Repression 1989 die Frage politischer Reformen offen

Peking (taz) – Chinas neuer Regierungschef Zhu Rongji gilt als fachkundiger Wirtschaftspolitiker, der für politische Reformen nichts übrig hat. Diesen Eindruck wollte Zhu gestern mit seinen ersten Äußerungen im Amt bestätigen. Ausdrücklich bekannte er sich zur Repressionspolitik der Pekinger Zentralregierung während der Studentenunruhen im Juni 1989. Damit beendete er die Legende, er selbst hätte ein friedliches Vorgehen gegen die Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens befürwortet. Denn als Bürgermeister von Schanghai hatte er damals in seiner Stadt Gewaltausschreitungen mit einer berühmten Fernsehrede verhindert. „In dieser Frage ist die ganze Partei einer Meinung“, betonte Zhu gestern. Das war der einzige Moment, in dem sich der Premierminister explizit auf seine Partei berief.

Tatsächlich gibt das politische Profil des neuen Premierministers nach wie vor Rätsel auf. Als einziges Mitglied der derzeitigen Spitze der Kommunistischen Partei war Zhu während der Kulturrevolution ein Opfer der Roten Garden und mußte im Arbeitslager dienen. Dazu befragt, sagte er gestern: „Ich habe aus dieser Erfahrung viel gelernt, aber weil sie unangenehm war, möchte ich jetzt nicht darüber sprechen.“ Erneut stellte er sich stumm – wie jedes Mal, wenn es um die Aufarbeitung seiner kommunistischen Vergangenheit geht.

Es macht das Rätselraten um seine inneren Überzeugungen nicht leichter, daß Zhu die gestrige Gelegenheit dann doch noch nutzte, um seinen abstrakten Glauben an die Demokratie deutlicher zu machen, als es seine Vorgänger bislang taten. „Ich bin für demokratische Wahlen“, proklamierte er und verwies auf die positiven Berichte einer US-amerikanischen Kommission, die kürzlich Dorfwahlen in China beobachtete. An dieser Bemerkung ist vor allem ungewöhnlich, daß sich Zhu auf amerikanische Quellen stützt. Er fügte dem hinzu, daß die Frage nach demokratischen Wahlen der Pekinger Führung für ihn ein Problem der politischen Strukturen sei und im Zuge juristischer Prozeduren beantwortet werden müsse. „Wir brauchen noch Zeit dafür, und es ist schwer für mich vorauszusagen, wann solche Wahlen stattfinden können.“

Auch hier fällt die Interpretation nicht leicht: Einerseits gehört es seit Jahren zum guten Ton der Partei gegenüber westlichen Gästen, demokratische Wahlen in der Zukunft grundsätzlich nicht auszuschließen. Andererseits ist es selten, daß ein Parteiführer vom Range Zhus überhaupt so explizit die Demokratiefrage vor der chinesischen Öffentlichkeit erörtert. Georg Blume