Analyse
: Tödliche Umarmung

■ Rechtsextreme stellen Frankreichs Konservative vor eine Zerreißprobe

So stark wie heute war die Front National noch nie. Seit sie am vergangenen Sonntag über 15 Prozent der Stimmen in den 26 französischen Regionen bekommen hat, brauchen die Rechtsextremen bloß noch abzuwarten. Die Zeit sowie die Politiker der konservativen und linken Parteien arbeiten – wenngleich ungewollt – für sie.

Das Angebot der Rechtsextremen an die rechtsliberale UDF und die neogaullistische RPR, regionale Allianzen bei der heutigen Wahl der Regionalratspräsidenten zu bilden, hat vielerorts alle moralischen und politischen Tabus fallen lassen. Trotz strikter Verbote aus den Pariser Parteizentralen, nahmen zahlreiche Konservative vor Ort umgehend die Gespräche auf. Begründung: Rechts sei rechts, und die Wähler hätten sich nun einmal „mehrheitlich für rechts entschieden“ – dem müsse man doch Rechnung tragen.

RPR-Chef Philippe Séguin versuchte ein paar Tage lang, mit Argumenten wie dem Antisemitismus der Rechtsextremen seine Mannen im Zaum zu halten. Als das nichts half, griff er zu dem schärfsten Sanktionsmittel, das einem Parteichef zur Verfügung steht: Ausschluß. Als erstes traf es kleine Provinzpolitiker. Vorgestern schließlich schmiß Séguin den früheren RPR-Generalsekretär, Jean-François Mancel, aus der Partei. Mancel, Neogaullist seit 32 Jahren und Vertrauter des Staatspräsidenten und RPR-Gründers Jacques Chirac, hatte zu einer Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aufgerufen. Die nämlich hätten längst „alles, was uns stören könnte“, über Bord geworfen.

Ein ähnlicher Kampf tobt auch in der UDF, auch wenn es da – bislang – nicht zu Parteiausschlüssen kam. Gegen den Willen ihrer (allianzfeindlichen) Parteispitze sind wachsende Teile der Basis bereit, mit den Rechtsextremen zusammenzugehen, um ihre Posten, Finanzen und Einflußmöglichkeiten in den Regionen zu erhalten.

Diese öffentliche Selbstzerfleischung der französischen Konservativen bedeutet eine völlig neue Situation. Statt der von vielen Rechtsliberalen und Neogaullisten favorisierten Diskussion über eine Parteineugründung innerhalb des eigenen Lagers, stehen die beiden Parteien jetzt vor einem Abgrund, in dem sie beide verschwinden könnten.

Der sozialistische Premierminister Lionel Jospin hat gestern Mittag angesichts dieser Schwäche der konservativen Führungen eine ebenso kurze wie feierlichen Ansprache – an wen eigentlich? – gehalten. Sollten heute tatsächlich Allianzen zwischen den republikanischen Rechten und den Rechtsextremen antreten, dann wäre das, so sagte er, „eine Gefahr für die Demokratie und für Frankreich“. Umstimmen wird er damit niemanden – aber er kann später sagen, daß er gewarnt hat. Dorothea Hahn