Chinas Herausforderung

■ Pekings Reformpolitik zwingt den Westen in die Verantwortung

Der Westen liefert dem neuen chinesischen Regierungschef Zhu Rongji mit seinen marktwirtschaftlichen Reformen die Rezepte. Aber trägt der Westen auch mit die Verantwortung dafür? Tut er es nicht, droht China soziales Chaos und der Weltwirtschaft die Rezession.

Niemandem im Westen sollte der Erfolg der chinesischen Reformen gleichgültig sein. Sie sind das einzige Mittel, den Niedergang der Planwirtschaft zu stoppen und das Reich der Mitte weiter zur Welt zu öffnen. Allerdings müssen auch die Konsequenzen dieses Prozesses klar sein: China drückt mit einem Arbeitskräftereservoir auf den Weltmarkt, das aus 500 Millionen unterbeschäftigen Bauern und 100 Millionen Industriearbeitern besteht, deren Arbeitsplätze im Zuge der Reformen gefährdet sind. Die westlichen Industrienationen, deren größte Sorge ebenfalls die Arbeitslosigkeit ist, haben sich bisher geweigert, diesen Aspekt der Globalisierung zur Kenntnis zu nehmen. Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit werden bei uns als Konzepte diskutiert, die China, und damit ein Fünftel der Menschheit, ausschließen. Chinas Anpassung an die Marktwirtschaft zwingt den Westen deshalb selbst zur Öffnung. Zum ersten Mal schickt sich ein so bevölkerungsreiches Land an, zum Global Player der Weltwirtschaft zu werden. Das bringt neue Probleme mit sich. Ignoriert der Westen etwa die sozialen oder ökologischen Fehlentwicklungen Chinas, riskiert er den eigenen Wohlstand. Das zeigte die Asienkrise, in der schon heute — vor Beginn der neuen Reformphase — die Pekinger Austeritätspolitik die Welt vor einer Verschärfung der regionalen Rezession bewahrt.

China als integrierten Teil der Weltwirtschaft zu denken — vor diese Herausforderung stellt Zhu Rongji den Westen. Daß man ihr heute auch nicht ansatzweise gerecht wird, zeigt die mühselige arbeitspolitische Debatte in Deutschland. Da kommt groß heraus, wer wie Schröder bei seiner niedersächsischen Preussag ein paar tausend Arbeitsplätze sichert. Zhu Rongji dagegen sucht allein in der nördlichen Manschurei nach neuen Arbeitsplätzen für ein Industriearbeiterheer, das ganz Nordrhein-Westfalen mit seinen 17 Millionen Einwohnern bevölkern könnte. Im 21. Jahrhundert aber wird gelten: Ein Arbeitsplatz in Dalian ist genauso wichtig wie ein Arbeitsplatz in Duisburg. Und dafür tragen dann alle gemeinsam die Verantwortung. Georg Blume Bericht Seite 2