Hört die Signale, sprengt die Ketten!

■ Die Radikal-Entertainer Les Robespierres gehören zum Heißesten, was Hamburgs Untergrund zu bieten hat

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Robespierrismus. Nur 150 Tage nach dem Entwurf ihres Tyrranistischen Manifests schicken sich die wilden Vier an, zum Abschluß ihres Europa-Kreuzzugs auch in ihrer Homebase Hamburg die Produktionsverhältnisse auf den Kopf zu stellen.

So oder ähnlich launisch ist das Bild der Band, die mit ihrem zweiten Album Repentista/Repetista gerade viel Aufmerksamkeit erhält und der Öffentlichkeit auch einiges an Wachheit abverlangt. Einer Band, die sich schon auf ihrer ersten Single 1994 dezidiert als politische entwarf, ohne Stil als nutzlos abzutun. Die sich der Unverständlichkeit aussetzt (weil sie auf Portugiesisch singt) – und sich doch ganz konkret auf die Realität bezieht. Einer Band, die in ihrem Sound stets den Gestus der Dringlichkeit transportiert – ohne Musikalität und Handwerk zu diskreditieren. Les Robespierres sind ein konstruiertes Ganzes, das von den einzelnen Figuren lebt.

Ganz vorne – und als Gitarrist, Texter und Sänger auch Kristallisationspunkt – steht Klaus Ramcke. Schon seit Mitte der Achtziger schult er sich darin, Sounds vergangener Tage in die Gegenwart zu transportieren. Blieb das Retroaktive bei der 60's-Band Chocolate Factory noch sehr im Erinnern stecken, schälte sich bei den Three Normal Beatles schon die Lebendigkeit heraus, die von Klassikern ausgehen kann: Das Material mag vom Früher zeugen, doch die Interpretation redet vom Jetzt.

Ted Gaiers Musikerleben ist ebenfalls geprägt vom Willen, immer wieder durch Rückkoppelung auf bereits Vorhandenes Aktualität prägnat darzustellen. Das läßt sich an den durchaus unterschiedlichen Ausprägungen seiner Goldenen Zitronen als Punk-Band so gut ablesen wie an seinem Gefühl dafür, daß man als Person ja auch optisch zu anderen spricht. Sein Baß sorgt dafür, daß der Punch der Robespierres unnachgiebig ist – so wie er Ramcke auch bei überlangen Pausen an das Wesentliche des Konzerts gemahnt.

Bedeutenden Anteil an der Eindringlichkeit des Vortrags hat auch Stefan Rath. Mit seinem ebenso harten wie präzisen Spiel unterstreicht er die Konzentrationsfähigkeit der Robespierres. Da er dazu noch beherrscht, Bewegung mit Herz und Coolness auszuführen und sogar hier und da mal ein kleines Gimmick der Lächerlichkeit zu entreißen, gibt er Entertainment einen guten Namen und rückt sein Instrument aus der visuellen Bedeutungslosigkeit. Einen zurückhaltenderen Part spielt da Sergej Tolksdorf auf der Orgel. Ohne völlig auf die Funktionalität zurückgeworfen zu sein, setzt er dramatisch wichtige Punkte und trumpft dann auf, wenn den anderen der Atem auszugehen droht.

Gemeinsam ist allen Vieren das Verlangen, eine Sprache zu etwickeln, die nichts an Dringlichkeit vermissen läßt, ohne auf Dialekte zu verzichten. Dies bedeutet auch, Themen wie Ausbeutung und Unterdrückung so ernst zu nehmen, daß der Ort des Geschehens nicht zwingend die eigene Haustür ist, sondern auch Mexiko sein kann – damit nicht nur die bürgerliche Presse Globalisierung durchbuchstabiert. In diesem Sinne bringt die Fremdsprache das zunächst Andere näher und erläutert – ohne sich den Gesetzmäßigkeiten der Machtsprachen zu unterwerfen.

Was auf Tonträger noch mitunter damit kämpft, nicht aus den Rillen direkt auf den Zuhörer springen zu können, kann sich im Konzert zum echten Ereignis entwickeln. Die Personen kommen zur Geltung, das Physische gewinnt an Kraft, und fast meint das Publikum, nichts zu verlieren zu haben als seine Ketten – aber das entspricht dann doch wieder eher dem etwas zu launigen Bild einer Band, deren Manifestierung gerade mal vier Jahre dauerte.

Carsten Hellberg

Les Robespierres spielen morgen um 20.30 Uhr im Mojo Club