...und es zerfiel in weiße Blöcke

Das Geburtshaus des Hamburger Dichters Hans Henny Jahn soll abgerissen werden. Fatal, finden seine BewohnerInnen und LiteraturkritikerInnen  ■ Von Heike Haarhoff

Zwei Wochen noch bis zum Auszug, und keine Kiste gepackt. In der Hoegenstraße 65 in Stellingen sieht es aus, wie es in Wohngemeinschaften eben aussieht. Keiner der 96 Quadratmeter Wohnraum versprüht den Eindruck, daß Eile geboten sei. Und das, obwohl am 1. April Schluß ist für die drei BewohnerInnen.

Wir haben die gemeinsame Heimat Stellingen gehabt. Als Kinder erlebten wir die anspruchslose Landschaft mit vielen ihrer Geheimnisse, mit den Wiesen, die von Knicks eingezäunt waren, strohgedeckten Katen, Katzenkopfpflaster...

Christine Haensel kocht Espresso. „Was hier so stinkt“, wendet sie sich dem Besuch in der WG-Küche zu, „ist der Abfluß. Der müßte auch gemacht werden.“Müßte – die Rohrleitungen sind marode, aber der Altbau wird ja abgerissen. „Ganz furchtbar“werde das, sagt die junge Frau, während Taxi, die WG-Katze, aus der Küche in den Garten verschwindet. „Nicht nur, weil ich hier unglaublich gern wohne.“

„Ich promoviere über Jahnn“, erklärt Joachim Gerdes, der zu Gast am Tisch sitzt und jetzt doch lieber keinen Kaffee will, „sein Geburtshaus darf nicht abgerissen werden“. Hier, in der Hoegenstraße 65, hat der Hamburger Schriftsteller Hans Henny Jahnn die ersten 21 Jahre seines Lebens verbracht, bevor er 1915 nach Norwegen emigrierte. Seine „jungen Tagebücher“habe Jahnn hier verfaßt, nachweislich „in meinem Schlafzimmer“, grinst Christine Haensel.

„Der ist hier in ein Kellerloch gefallen, hat sich die Hoden gequetscht, und dadurch ist er Schriftsteller geworden“, ist der 33jährige Gerdes nach jahrelangem Studium des Jahnn-Werks überzeugt. „Was übrigens erklärt“, mischt sich ein WG-Bewohner ein, „warum es nur so wenige Frauen in der Schriftstellerei...“Christine Haensel gähnt.

Der lauen Abende entsinn ich mich. Unter den alten Linden stand die Wärme wie ein lebendiges Tier, das man an den Stamm gebunden hat. Es geschah vieles, was ich heute noch nicht begreife, weil ich keinen Teil daran hatte.

Nein, er habe „keine persönliche Beziehung“zu Hans Henny Jahnn, weder zu seiner Literatur noch zu seinem Geburtshaus. Aber seit gut einem Jahr, seufzt Dr. Rudolf Franz, gehe das nun schon mit den Anfragen seitens der Presse. Und immer wollten alle – ob nun Die Zeit, die Frankfurter Allgemeine oder das örtliche Anzeigenblättchen Der Stellinger – von ihm, Franz, dem Geschäftsführer der Jahnn-Haus-Eigentümerin Milena Projekt Management GmbH, wissen, weshalb er das Jahrhundertwende-Gebäude bloß abreißen lassen werde.

Der Hamburger Unternehmer Franz will auf dem Grundstück lieber ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus bauen – will mit dem Grundstück spekulieren, sagen seine KritikerInnen. Vor einem Jahr hat er der Handvoll verbliebenen MieterInnen der insgesamt zehn Wohnungen daher zum 1. April 1998 gekündigt. Anschließend, so Franz, kämen die Bagger. Die Abrißgenehmigung hat er schon in der Tasche. „Noch in diesem Jahr geht es los“, versichert er.

„An dem Haus ist so viel versaut worden“, seufzt der Stellinger Ortsamtsleiter Gerhard Kruse. Die schandfleck-grüne Eternit-Platten-Fassade bewog selbst Denkmalschutzamt und Kulturbehörde unter Leitung der parteilosen Literaturwissenschaftlerin Christina Weiss dazu, das Haus als „völlig verbaut“und „nicht schutzwürdig“einzustufen. Da habe „der Eigentümer Anspruch gehabt“, den Wohnraum zu vernichten.

Dabei sei es „unüblich“, zweifelt Tobias Behrens vom Sanierungsträger Stattbau, eine Abbruchgenehmigung zu erteilen, ohne daß ein schlüssiges Neubaukonzept vorliege. Und das fehlt bei Rudolf Franz und seiner Firma in der Tat: Für sein Vorhaben bräuchte das Unternehmen eigentlich noch das benachbarte Grundstück. Dort aber steht ein Haus – und die Eigentümerin denkt gar nicht daran, zu verkaufen. „Dann baue ich eben kleiner“, behauptet Franz.

 Die Linden wurden gefällt, die Katen eingerissen, das Gebüsch wurde gelichtet, ein alter Kalkofen zerfiel in weiße Blöcke. Die Schreie waren für ewig verstummt. Es war das Ende der Knabenschaften in unserer Gegend...

„Der Jahnn hat es seinen Lesern nicht leicht gemacht.“Dennoch war Zeit-Autor Ulrich Greiner „völlig berauscht“von dem Werk. desjenigen, der unter der Nazi-Diktatur nach Bornholm emigrierte und später nicht als Widerstandskämpfer anerkannt wurde. Der schon in den 50er Jahren als Aktivist in der Anti-Atom-Bewegung seiner Zeit voraus war. Der einen „anti-bürgerlichen Effekt“versprühte, weil er unter anderem Pazifist, homosexuell und Sektengründer war. Mit so einem, sagt Greiner, „können die Hamburger nicht so richtig“. Unfug, wehrt sich die Kulturbehörde. Sie listet auf, daß es einen Hans-Henny-Jahnn-Weg nahe des Osterbekkanals gibt, daß an der Uni eine Jahnn-Arbeitsstelle existiert und daß das Dichtergrab, Jahnn starb 1959, auf dem Friedhof Nienstedten verplombt ist. Daß man ja auch nicht jede Ecke bewahrt, „wo Goethe mal gepinkelt hat“.

„Mensch“, mobilisiert der Journalist Greiner, mit dem Haus „haben wir die Chance, einen Zeitzeugen zu befragen“. Er selbst, Jahrgang '45, könne das Gebäude ja eventuell noch entbehren, weil er die 50er Jahre, über die Jahnn schreibt, selbst erlebt habe. „Aber der nachwachsenden Generation fehlt die Anschauung.“Um Jahnn und seine Schilderungen aus dem kleinbürgerlichen Stellingen zu verstehen, sei „ein Schauplatz von Belang“. Er wisse nicht, „ob unsere Zeit das Recht hat, ein so wichtiges Haus abzureißen, nur weil die Rendite lockt,“.

Nicht zuletzt deswegen engagiert sich der Literaturkritiker Greiner in der Initiative zur Rettung des Jahnn-Hauses, zusammen mit der WG-Bewohnerin Christine Haensel und dem Vereinsvorsitzenden Peter Rickers, Herausgeber und Chefredakteur des Anzeigenblatts Der Stellinger. Zum 103. Geburtstag von Jahnn im vorigen Jahr gab's in der Hoegenstraße ein rauschendes Fest. Auszüge aus Jahnns Werk in DIN A 4-Format schmücken noch heute die Wände. „Auf jeden Fall schwierig zu lesen“sei dieser Dichter, findet Rickers, und deswegen „lese ich am liebsten über ihn“. Hintergründig, langatmig, manchmal gar phrasenhaft seien die Bücher, aber das sei unerheblich. Was für Rickers zählt, ist, „daß der Jahnn hier geboren ist“.

Die Knicks verschwanden, die Koppeln wurden ein Tummelplatz für Spekulanten; meine Heimat wurde zum Schuttabladeplatz.

Noch zwei Wochen bis zum Auszug. Und alle Verhandlungen scheinen gescheitert. „Ich“, sagt Eigentümer Franz, „war bereit, das Haus an die Initiative zu verkaufen“. Allerdings für stolze 600.000 Mark. Höchstens ein Drittel, glaubt Sanierungsträger Stattbau, wäre das Gebäude wert, rechnet man die Instandsetzungskosten mit ein.

Umbau-Konzepte gibt es durchaus: Die Jahnn-Forschungsstelle von der Uni hätte sich gern in dem Gebäude eingerichtet. Auch ein soziales Wohnprojekt für Alleinerziehende und schwierige Jugendliche wäre möglich gewesen. Stattbau rechnete, die Bezirksregierung Eimsbüttel „begrüßte“, die Stadtentwicklungsbehörde stellte Modernisierungszuschüsse in Aussicht und der Berliner Sanierungsexperte Georg Töbing will das Haus gar „privat kaufen, um es zu retten“. Das Jahnn-Haus sei immerhin „besser als jedes Haus im Osten“. Allein am Kaufpreis scheiterte es. Die Zeit-Stiftung prüft noch, ob sie dem Haus nicht doch die rettende Finanzspritze setzt. Spenden sind ebenfalls willkommen. Die Jahnn-Initiative wird versuchen, die Abrißgenehmigung – möglicherweise per Klage – rückgängig zu machen. Noch sind zwei Wochen Zeit.