Das Ende eines wilden Parks

Für die Fernbahntrasse südlich des Gleisdreiecks wurden 1.500 Bäume gefällt. Was Umweltgruppen als Öko-Katastrophe geißeln, bedeutet für die Bahn Zukunft  ■ Von Rolf Lautenschläger

Ein wenig erinnert das Gelände an eine Schneise, auf der ein Jumbo-Jet notgelandet ist. In einer Breite von 30 Metern hat sich eine kilometerlange Trasse durch die Natur gefräst. Die Erde ist aufgewühlt, Birkenstämme sind abgeknickt oder türmen sich entwurzelt neben eingerissenen Mauerresten. Rotweiße Sicherheitsbänder versperren den Zugang. Kettensägen, Bagger und andere schwere Maschinen sind im Einsatz.

Die Assoziationen einer Havarie liegen für Matthias Bauer und Norbert Rheinlaender, Mitglieder der Bürgerinitiativen Gleisdreieck und Westtangente, auf der Hand. Was sich auf der über zwei Kilometer langen Fläche vom Gleisdreieck bis hinunter zum Schöneberger Südgelände abspielt, bezeichnen sie „als Katastrophe“. Die Baumfällung auf dem einstigen Biotop für die neue Nord-Süd- Verbindung der Deutschen Bahn AG sei „klimatischer und ökologischer Wahnsinn“.

In der Tat hat die Bahn in den vergangenen Wochen rigoros Fakten geschaffen. Dort, wo sich in den letzten Jahrzehnten ein wilder Naturpark über die alten Gleisanlagen der Vorkriegszeit gelegt hatte, wurden bis dato 1.500 Bäume gefällt. Damit im Herbst 1998 mit dem Bau der vier Fernbahntrassen vom Tunnelausgang am Gleisdreieck bis hinunter zum Bahnhof Papestraße begonnen werden kann, plagen sich Arbeiter bei der „Baufeldfreimachung“ für die Verkehrsanlagen. Neben dem Raum für die Gleiskörper wird Platz geschaffen für Baustraßen und Materiallager. Zufahrtswege sollen planiert und technische Anlagen installiert werden.

Die Baumrodungen an der Strecke gehen für Bauer „zwar rechtlich zu 90 Prozent in Ordnung“. Doch an den Rändern des Baufeldes, wirft die Bürgerinitiative der Bahn AG vor, hätte „man vorsichtiger mit der Natur umgehen müssen“. Da sei „mehr als nötig abgeholzt worden“. Noch entscheidender für Bauer und Rheinlaender ist, daß mit der „Baumfällung ein grüner räumlicher Zusammenhang in der Stadt verlorengeht, der durch nichts ersetzt werden kann“. Während etwa das Landschaftsprogramm (Lapro) des Senats und auch der Flächennutzungsplan (FNP) von 1995/97 noch weit mehr Grün- und Parkflächen am Gleisdreieck, am Museum für Verkehr und Technik, am „Flaschenhals“ (wo sich das breite Naturgelände an der Yorckstraße verengt) sowie nördlich der Kolonnenbrücke vorsahen, „bedrängen jetzt laufende FNP-Änderungen die gesamte Fläche“.

Nicht allein die am Gleisdreieck — auf dem ein Debis-Parkhaus entstehen soll —, sondern auch andere Naturflächen werden für mögliche Baumaßnahmen „entwidmet“, haben Bauer und Rheinlaender nachgewiesen. So soll eine Fläche für den Postbahnhof reserviert werden, rund 10.000 Quadratmeter der einstigen „Grünpassage“ am Museum fehlen, und 4.500 Quadratmeter südlich und nördlich der Yorckbrücken wurden gekappt. Bauer: „Das sind Bereiche, die verwertet werden können.“ Zwar würde die Fällung keine weiteren Baumaßnahmen — etwa für den Transrapid oder eine Autobahn — präjudizieren, doch die einst „zusammenhängende Ökoschneise wird abgeschnitten.“

Daß der Eingriff in die Natur sich zum einen auf das Stadtklima auswirkt, haben Umweltgruppen sowie der bündnisgrüne Kreuzberger Bürgermeister, Franz Schulz, schon zur Zeit der Planung 1993 kritisiert. Zum anderen merken Bauer und Rheinlaender jetzt an, daß die „Ersatzmaßnahmen“ kaum greifen. So würden entlang der Trasse nur wenige Baumreihen entstehen können, da die Gleisbreite mehr nicht zuließe. Außerdem sei der spätere Grünstreifen zwischen und entlang der Gleise nicht nutzbar.

Doch Bauer und Rheinlaender vergessen, daß die Bahn AG einen weiteren Ausgleich geleistet hat. Mit dem Planfeststellungsbeschluß von 1995 für den Gleisbau hat sie dem Land ein anderes 17,5 Hektar großes Gelände am Priesterweg als Park übereignet. „Das wird aus dem Bahneigentum herausgelöst und zur nutzbaren Naturfläche“, erklärt Manfred Sperling, Landschaftsplaner beim Bezirk Schöneberg. Sperling, der die Argumente und Kritik der Bündnisgrünen im Bezirk verstehen kann, hat die Baufällungen „begleitet“ und keine Rechtsverstöße festgestellt. „Was da passiert, ist rechtmäßig, auch wenn man das politisch anders sehen kann.“

Keine Probleme mit der baumlosen Schneise hat auch Silke Hannig, Mitarbeiterin bei der „DB- Projekt GmbH Knoten Berlin“, die die Rodung durchführt. Alle Maßnahmen seien längst bekannt und vom Eisenbahnbundesamt genehmigt worden. „Das Verfahren ist rechtlich in Ordnung“, sagt sie und fügt hinzu: „Wir hacken nicht jeden Baum ab, der uns im Weg steht, sondern machen das behutsam.“ Außerdem seien die Baustraßen und Lagerflächen für die Baulogistik temporärer Natur — „die werden rückgebaut“, sagt Hannig.

Dennoch räumt auch die Bahn- Mitarbeiterin ein, daß eine solch urwüchsige Grünlandschaft schwer zu ersetzen sei. „Die Entscheidung, dort die Nord-Süd- Strecke der Fernbahn entlangzuführen, bedeutet, daß natürlich das Gebiet einen anderen Charakter haben wird.“ Der würde bestimmt von technischen Verkehrsanlagen, die wenig mit dem gemein haben werden, was dort in den vergangenen Jahrzehnten einmal war. Jetzt gilt: Rot für die Natur, Grün für die Bahn.