■ Der Frühling ist die beste Zeit für einen Selbstversuch
: Jugend ahoi!

Frühling. Für viele ist es die Zeit, in der sie – etwas von Freiheit oder Frühlingsgefühlen knöternd, bei einem modisch-prickelnden Getränk – Gespräche über ihre Beziehung führen, um selbige alsbald zu beenden. Doch der Frühling ist eben auch die Zeit, in der die Lenden drücken, und so stürzen sich die meisten losen Flatter- Vögel so schnell wie möglich in neue Abenteuer: Prosecco – zum Sack, zack-zack.

Die, die sich kein neues Vögelchen fangen können, werden bis in den Juni hinein alleine durch die freie Wildbahn streifen, um sich zum Sommeranfang ermattet von den verlorenen Rangkämpfen ins Freibad zu schleppen. Das besuchen sie allerdings nicht, weil sie darin die letzte Chance sehen, doch noch einen Gefährten zu finden, oder weil sie es als Herausforderung betrachten, die Krampfadergeschwader – „20 mal 50 Meter“ im Zick-Zack-Kurs – zu umschwimmen.

Nein, diese zumeist Mittdreißiger suchen die öffentlichen Badeanstalten auf, um ihre müden Häupter auf große, bunte Handtücher zu betten, ihre Augen zu schließen und sich hinzugeben – nämlich dem anheimelnden Geschrei kleiner, planschender Monster und dem ihrer ebenso monströsen Erzeuger, wenn die ihre Kinder zur Ruhe zwingen wollen („Komm her, Melanie!“) oder in den Büschen kopulieren („Komm Mechthild – komm!“); sie wollen spüren, wie die Sonnenstrahlen leise um ihre Nasenhaare streifen, sie wollen das Gemisch aus Intensivbräune-durch-Sonnenöl, verdunstendem Pipi-Chlorwasser und Pommes Rot-Schweiß... – kurz: Sie wollen den Duft der Freibadluft mit allen ihren Sinnen einsaugen, um schließlich den eigentlichen Kick zu erleben: Denn es ist eben diese benebelnde Atmosphäre, die sie einlullt, sanft hinwegdösen – und transzendieren läßt zurück in die Tage der Kindheit, die noch frei war vom Kampf der Geschlechter.

Plötzlich sehen sich diese Menschen in einem gigantomanisch- großen Kiosk wieder, dessen Wände aus Schoko-Himbeer-Waffel-Brot bestehen. Ihre Blicke schweifen unruhig über die kilometerlangen Eßpapier-Regale, auf denen hektorliterweise Getränkepackungen stehen mit Aufschriften wie Tritop, Sunkist und Capri- Sonne. In einem haushohen Tiefkühlschrank liegen tonnenweise die leckersten Eissorten: Eis am Stiel, das in seinem Kern schokoladig ist, aber einen Mantel aus bunten Liebesperlen trägt. Zylindrische Plastikbecher, die ebenfalls mit Eis gefüllt sind. Hat man das erst aufgelöffelt, erwartet einen eine Kaugummikugel, die zwar nicht schmeckt, dafür aber so süß ist, daß man sie noch 20 Jahre später in den Umkleidekabinen der Freibäder kleben sehen wird. Oder Lifty: Wassereis, das in den unterschiedlichsten Farben erhältlich – und in durchsichtigen Kunststoff gehüllt ist. Katholische Erwachsene verdammen es am liebsten, sehen sie doch im Genuß von Lifty eine verderbte Hinführung zum Oralverkehr oder noch schlimmer: zum Präservativ. An der hintersten Wand des Kiosks stapeln sich Säcke mit Prickel Pit und Ahoi- Brausepulver – und über allem schweben – wie eine Zeppelin-Armada – badewannengroße Brötchen, gefüllt mit schokoladeüberzogenem-Eßschaumstoff-auf- Waffel, eine Spezialität, die man noch – ohne zur Political Correctness ermahnt zu werden – bei ihrem wahren Namen nennen darf: Negerkußbrötchen.

Doch noch bevor man sich entscheiden kann, wohin das kleine Händchen zuerst greifen soll, explodiert der Super-Kiosk mit einem großen Knall wie eine Hubble-Bubble oder eine Hubba-Bubba-Blase. Ein kleiner, süßer Racker nämlich hat sein Sandeimerchen zweckentfremdet, mit Freibadwasser gefüllt und über dem Kopf des Menschen ausgeschüttet, der während der Frühjahrsbalz leer ausging und sein Heil im Traum von der geschlechterkampffreien Kindheit gesucht hat.

Ja, es ist Frühling, und deshalb sollte man sich schnell entscheiden: Entweder ein Glas prickelnden Proseccos und eine lange, vielleicht sinnlose Suche nach neuen Lebensabschnittspartnern. Oder von vornherein eine Line Prickel Pit, das – durch die Nase eingesogen – auf den Schleimhäuten lustige, bunte Bläschen erzeugt, die direkt hineinblubbern ins Kleinhirn. Björn Blaschke