Muttis kleiner Revoluzzer

■ Lauter! Brechts Pubertätsdrama „Baal“hatte als harmlose Inszenierung am Thalia Premiere

So mächtig ist der Baal, daß sogar der Himmel ein Einsehen hat und einen Kübel Regen über ihn auskippt, wenn der Jüngling in einer letzten verzweifelten Geste die Hände hebt. Einen so dicken Schlußpunkt braucht das Brechtsche Jugendwerk in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf im Thalia Theater aus zwei Gründen. Erstens um die Omnipotenz des Baals noch einmal für alle und ein für allemal klarzustellen – es wäre sonst eine Frage offen geblieben. Und zweitens muß der Regisseur den Schluß hineinregnen lassen, damit sich niemand wundert, daß plötzlich – nach 150 Minuten – der Vorhang zugeht.

Doch der Reihe nach. Die Frage lautet: Was finden die Weiber bloß an diesem Würstchen? Brechts Geschichte erzählt vom Abstieg eines Kneipenpoeten, der sich bei niemandem anbiedert und dem gerade deswegen alle Herzen zufliegen – vor allem die der Frauen. Daß die weiblichen Gestalten zu dümmlichen Miezen stilisiert werden, ist geschenkt. Die Männer kommen auch nicht besser weg. Aber so blöd können die Mädchen doch nicht sein, daß sie einem Nicki von Tempelhoff nachkriechen, der ihnen Bier über den Kopf kippt und sie von der Straße hinaufschleift in seine Bude wie ein Orang Utan – und der doch über weite Strecken ein Bubi bleibt, der den Revoluzzer spielen kann, weil Mutti ihn gewähren läßt? Indem Bechtolf seinen Helden ins Mythische entrückt, läßt er die Frage ins Leere laufen.

Für die übrigen Schauspieler ist es schwierig, an Präsenz zu gewinnen. 36 Darsteller sind in 33 Rollen zu sehen. Marek Harloff überzeugt als verhuschter Jüngling Johannes, Anette Paulmann nimmt man in der Rolle der Sophie die verklemmte Schwärmerei für das dünne Scheusal ab, und Sandro Giampietro malträtiert die Stratocaster so schön wie weiland die Angeber im Kirchenkeller. Der Rest geht in der Masse unter, streckenweise leider auch der Hauptdarsteller.

Schwierig ist es auch, in dieser Inszenierung der Faszination und Provokation nachzuspüren, die einmal von dem Stück ausgegangen sein muß. Auch, weil es um den Baal herum so furchtbar anständig und aufwendig zugeht. Eine malerisch verdreckte Dachkammer, ein Wald mit dem düsteren Charme einer Fußgängerzone nach Geschäftsschluß, Bettler und Fuhrleute, die auch aus den Schaufenstern derselben entstiegen sein könnten (Bühne und Kostüme: Rolf und Marianne Glittenberg) – in dieses Ambiente zeichnet Bechtolf Bilder, die den Punk ins Pittorekse übersetzen. Überall spürt man eine ordnende Hand, die der wütenden Kraft des Chaos keine Chance läßt. Es ist ein sehr erwachsener Blick, den der Regisseur auf den Baal richtet. Ordentlich erzählt er, besinnlich fast schon, und das tut dem Pubertätsdrama gar nicht gut.

Lauter! Barbora Paluskova