Press-Schlag
: Yyyyves nazionale

■ Berti Vogts erfühlt den Volkswillen

Heute nachmittag, 17 Uhr 30, ist es soweit. Bundestrainer Berti Vogts bittet vor dem Stuttgarter Ländertreffen gegen Brasilien zum Training – auf der Bezirkssportanlage Waldau. Mittun wird dann auch einer, dessen Fußballästhetik mit dem Begriff Bezirkssportanlage harmoniert wie Sauerkraut mit Kassler. Trotzdem wird Yves Eigenrauch selber es noch nicht fassen können, daß er dabei ist im Kreis der Elitekicker.

Warum sollte er auch? Schließlich hat Bundestrainer Vogts mit der Einbestellung des Schalkers eine Entscheidung getroffen, die unter sportlichen Maßgaben ein Rätsel bleibt. Nach langer Verletzung ist Eigenrauch nur fünf mal in der laufenden Bundesliga-Saison zum Einsatz gekommen – jeweils als Einwechselspieler. Und erst ein einziges Pflichtspiel hat er über die volle Distanz absolviert: Letzten Dienstag das Uefa-Pokalspiel gegen Inter Mailand – weil die nominellen Manndecker Linke und de Kock wegen Gelbsperren ausfielen. Kein Zweifel: Yves Eigenrauch hat dort gegen den brasilianischen Weltfußballer Ronaldo eine überragende Partie gespielt. Was nichts daran ändert, daß wohl nie zuvor ein Spieler, der über die Distanz einer Saison ein einziges gutes Spiel gemacht hat, postwendend in die deutsche Nationalelf berufen wurde.

Warum also Eigenrauch? Die Nominierung der „Ruhrpott-Kultfigur“ (Sportinformationsdienst) ist allein symbolisch zu verstehen. Mehr denn je hat sich Vogts mit dem Ruf an den Schalker als Mann der Volksseele ausgewiesen. Die Stimmung, die derzeit in den Stadien von Bayern und Dortmund gärt, hat ihr Pendant in der Forderung nach Eigenrauch. Das haßerfüllte „Strunz!“ hat sein Gegenstück im liebesgezogenen „Yyyyves“. Vogts hat diese Stimmung vorgefühlt, weil sie seinem Wesen entspricht. Schon im Dezember letzten Jahres hat der Mann, der zeit seiner Trainertätigkeit das Spiel der kreativen „Wohlstandsjünglinge“ (Vogts) – idealtypisch verkörpert durch Andreas Möller – zu befördern versuchte, die Wende eingeleitet. Sätestens als er in seinem taktischen Konzept gegen Südafrika eine Offensivkraft im Mittelfeld zugunsten eines Rackerers opferte – und mit der Nominierung der Neulinge Haman und Jeremies den ästhetischen Wechsel vollzog. Eigenrauch ist angesichts der zugespitzten Lage nur die Bestätigung. Noch nie ist auf Bundesligaplätzen und -tribünen der Kampf gegen den Abstieg (von wo auch immer) erbitterter geführt. Nie ist die Forderung nach der Blutgrätsche als letztem Mittel so laut geworden. Ob mit der Eigenrauch-Strategie Fußballspiele gewonnen werden können, darf – siehe Schalke gegen Inter – bezweifelt werden. Aber das ein ganz, ganz anderes Problem. Uli Fuchs