Effenberg hat noch Visionen

Nach dem 2:0-Sieg über Mönchengladbach wähnt man sich bei 1860 München in der Lage, die Krise zu überwinden, während beim Gegner ein bißchen was fehlt  ■ Aus München Thomas Hahn

Oft in dieser Bundesliga-Saison hat Karl-Heinz Wildmoser, Präsident des TSV 1860 München, sich selbst bemitleiden müssen für das Weh und Leid, das sein Tagwerk als millionenschwerer Klub-Chef mit sich bringt. Weil 1860 doch so bös abgerutscht war in der Tabelle und ihn daraufhin Kritik traf. Um so mehr genießt er es nun, daß sein Personal im Begriffe ist, die Krise zu überwinden. Und zeigt das gern in Wort und Tat: Als die weiß- blaue Fangemeinde im Olympiastadion mit rhythmischem Klatschen den 2:0-Erfolg über Borussia Mönchengladbach zu feiern begann, erhob sich auch der feiste Grande und stampfte mit weit ausholender Bewegung seine Pranken gegeneinander. Das tat er so kraftvoll, als wolle er sich die Mittelhand brechen. Und später sprach er staatstragend: „Ich bin richtig stolz auf unsere Mannschaft.“

1860 ist durch den Sieg auf Platz 13 emporgeschnellt, und es verdichtet sich die Ahnung: Für Wildmoser wird es noch einmal günstig ausgehen, nachdem der hohe Herr mitverschuldete, daß die Mannschaft sich im Abstiegskampf verfing. Seine Personalpolitik zu Saisonbeginn hatte monatelang Ärger heraufbeschworen, der die Arbeitnehmer vom Fußball ablenkte.

Vergessen, verziehen. Weil Trainer Werner Lorant endlich eine Elf gefunden hat, die es ver- dient, regelmäßig aufgeboten zu werden. Weil Ned Zelic, Abderrahim Ouakili und Bernd Hobsch sich als hilfreiche Zugänge erweisen – Stürmer Hobsch und Spielgestalter Ouakili schossen gegen Gladbach die Tore. Und weil die anderen Kollegen kapiert haben, daß sich mit Konzentration, Kampf und einfachem Flügelspiel am ehesten Punkte erstreiten lassen. Außerdem ist die Fehlerquote geringer als vor wenigen Wochen; am Samstag beschränkten sich die Patzer auf die ersten Minuten: Holger Greilich ließ Andzrej Juskowiak an die Latte schießen (7.), Miroslav Stevic mußte sich auf dem Feld entkleiden, weil er die Hose falsch rum angezogen hatte.

Jeglicher Sorgen ledig fühlt sich trotzdem noch keiner bei 1860. „Ich kann doch jetzt nicht feiern“, raunzte Lorant. Aber ein bedeutender Erfolg war das 2:0 schon, weil errungen gegen einen Nachbarn aus der düstersten Region der Ligatabelle. Um so frustrierter waren die Gladbacher nach dem verkorksten Dienstgang. Christian Hochstätter, wegen Muskelfaserrisses ausgewechselt, analysierte die Teamleistung treffend: „Von Aufwärtstrend nichts zu sehen.“ In den trauerschwarzen Gladbach- Trikots steckten bewegungsge- hemmte Stürmer, unachtsame Verteidiger und ideenlose Mittelfeldspieler. Kapitän Stefan Effenberg zeigte noch am meisten Aktionismus. Doch weil er die letzten Tage infolge Magen-Darm-Grippe mehr auf dem Klo als am Ball verbracht hatte, dauerte das nicht viel länger als eine halbe Stunde.

Wenig hoffnungsfroh mußte den rheinischen Fußballfreund auch stimmen, wie Trainer Norbert Meier sich hinterher präsen- tierte. Ratlos nämlich, sogar ein bißchen desorientiert. Er hielt sich an seiner Zigarette fest und erzählte blanken Unsinn: „So dominant“ sei der Gegner ja nun nicht gewesen, „vor dem 1:0 war ja fast überhaupt nichts.“ Sechs torgefährliche Aktionen der Münchener vor der Pause hatte er übersehen. Immerhin schimpfte er sein Ensemble mutlos und kündigte für die nächste Besprechung „ein paar ernste Worte“ an. Aber er sagte das so brav, daß man zweifeln mußte, ob der kleingewachsene Meier vor seinen Profis genügend Autorität aufbringen kann, um sie zu einer besseren Arbeitsauffassung anzustacheln.

Ein ganz Prominenter ist sich dessen offensichtlich auch nicht so sicher. „Tschuldigung“, meldete sich Kapitän Effenberg, „ich habe noch ein paar Visionen.“ Weshalb er nicht in die zweite Liga will und kritisierte: „Ab und zu muß man auch mal einen kleinen Stupser geben; das fehlt hier ein bißchen.“ Entlassen wird Meier vermutlich trotzdem nicht. Nicht aus Überzeugung. Sondern weil die Abfindung zu teuer käme.

Borussia Mönchengladbach: Kamps – Hochstätter (36. Wynhoff) – Andersson, Klinkert – Paßlack, Effenberg (70. Anagnostou), Schneider (62. Pflipsen), Lupescu, Witeczek – Juskowiak, Pettersson

Zuschauer: 30.300

Tore: 1:0 Hobsch (45.), 2:0 Ouakili (54.)

1860: Meier – Jeremies – Kientz, Greilich – Borimirow, Zelic, Ouakili, Stevic, Heldt (72. Walker) – Hobsch (80. Agostino), Winkler