Abteilungsleiter der Nation

Politische Notwendigkeit oder nationale Großmannssucht? Der Ruf nach einem Bundeskulturministerium verdeutlicht, wie konzeptionslos und vor allem zufallsbedingt bislang die einzelnen Sparten im Bereich der Kultur von Verwaltungsbeamten geplant wurden  ■ Von Micha Brumlik

I. Die Bedenken

Die Berliner Republik wirft ihre Schatten voraus. Die bisher geisterhaft flottierende Debatte um ein Bundeskulturministerium nimmt allmählich Gestalt an, wobei noch nicht klar ist, ob es sich um Wichtigtuerei oder eine ernsthafte Auseinandersetzung handelt. Allergische Reaktionen muß dieser Vorschlag schon deswegen erregen, weil damit der bundesdeutsche Föderalismus, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten als Antidot gegen dikatorischen Zentralismus auferlegt wurde, beeinträchtigt würde. Zudem beruht der kulturelle Reichtum Deutschlands, politisch verfaßt und weit in die Geschichte zurückreichend, auf der Verschiedenartigkeit und Vielfarbigkeit von Ländern, Städten und Gemeinden. Schließlich stimmt die Vorstellung, daß ein Kanzler Kohl oder Schröder verdiente Parteifreunde oder gar in der politischen Verwaltung unerfahrene Intellektuelle so zum Kulturminister machte, wie man derlei Leute früher in parteinahe Stiftungen oder Kulturinitiativen bugsierte, alles andere als hoffnungsfroh. Man mag man sich gar nicht vorstellen, was Le Monde oder die New York Times schrieben, wenn eine deutsche Kulturministerin oder ein Kulturminister zum Leiter eines gut dotierten Berliner „Nationaltheaters“ jemanden beriefe, der kein lupenreiner FDGO ist.

II. Die Anlässe

Gleichwohl: All dieses bedenkend erscheint mir die Forderung nach einem Bundeskulturministerium nicht nur sinnvoll, sondern geradezu zwingend. Jedenfalls dann, wenn man die Auffassung teilt, daß die Bundesrepublik Deutschland als der Kulturstaat, der sie bisher war, auch im vereinigten Europa und in einer globalisierten Welt weiterexistieren soll. An einem nämlich kann – auch wenn es Kunst und Kultur im Vergleich mit anderen Staaten in Deutschland noch recht gut geht – kein Zweifel bestehen. Den Kommunen, bisher die tragende Säule von Deutschland als Kulturstaat – geht finanziell die Luft aus, und sie sparen dort, wo sie den geringsten Widerstand erwarten: bei der Förderung von Kunst und Kultur. Etwas besser geht es den Ländern, die der Förderung ihrer Landesbühnen und der vielfältigen historischen Baudenkmäler, sofern es sich nicht gerade um mißliebige KZ-Gedenkstätten handelt, wacker nachkommen. Im Bund freilich sind wir mit einem konzeptionslosen und finanziell desaströsen Wirrwarr, einem Konglomerat organisierter Verantwortungs- und Bedeutungslosigkeit konfrontiert:

– da entscheidet ein Bundeskanzler, den keine parlamentarische Mehrheit mit dieser Zuständigkeit belehnt hat, über die zentrale Frage einer Politik des Gedenkens, das Holocaust-Mahnmal;

– da geht Außenminister Kinkel, der das Gewicht auswärtiger Kulturprogrammarbeit in der sich neu formierenden Weltgesellschaft trotz einer kürzlich einberufenen Botschafterkonferenz niemals begriffen hat, vor den Zwängen Theo Waigels in die Knie und nimmt die Schließung von Goetheinstituten bzw. die Einschränkung all dessen, was nicht außenwirtschaftsförderlich ist, in Kauf;

– da vergibt Innenminister Kanther, der vor allem Abhören und Flüchtlinge an der Odergrenze abschrecken möchte, Bundesfilmpreise;

– da wendet Zukunftsminister Jürgen Rüttgers seine ganze Energie und mit ihr die wesentlichen finanziellen Zuwendungen seines Haushalts der technischen und naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung zu, während zum Beispiel die bei ihm ressortierenden historischen Institute in London, Washington und Rom zwar in Ruhe ihrer Arbeit nachkommen können, ansonsten aber ein Schattendasein fristen. Überhaupt mußte man aus diesem Hause ein auch in der Öffentlichkeit gehörtes Wort zur Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften in einer Zeit rapiden gesellschaftlichen Wandels bisher vermissen. Für dieses „Zukunfts“ministerium gilt: Die Kreativität der Kunst wird verkannt, die hier geplante Zukunft ist blind, Kultur als kollektives Gedächtnis kein Thema.

– Das Hin und Her um die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Stocken bei einer Reform des Stiftungsrechts, die abschreckenden steuerlichen Regelungen für Sponsoren, die unzureichenden Hilfen für die Kulturdenkmäler Ostdeutschlands und die Abschaffung des Unterausschusses „Kultur“ beim Deutschen Bundestag beweisen, daß in diesem Parlament keine verantwortliche Kulturpolitik betrieben, sondern lediglich ein Dahintreiben auf Abteilungsleiterebene geduldet wird.

III. Politisierung der Kultur

Vor diesem Hintergrund liegen die Aufgaben eines Bundeskulturministeriums auf der Hand:

– Als erstes hätte ein solches Ministerium auf die schon vor geraumer Zeit von Bundespräsident Herzog angemahnte Reform der Finanzverfassung der Bundesrepublik zu dringen, und zwar insbesondere im Hinblick auf die langfristige Sicherung des weltweit einzigartigen, öffentlich subventionierten, ausdifferenzierten dreispartigen Stadttheatersystems.

– Zweitens wären die Zuständigkeiten für auswärtige Kulturpolitik, für Kunst- und Filmförderung sowie für Stiftungs- und Sponsorenrecht in diesem Ministerium so zu bündeln, daß endlich konzeptionell beraten und gearbeitet werden kann.

– Drittens bestünde die Aufgabe eines solchen Ministeriums nicht zuletzt darin, kulturelle und künstlerische Entwicklungen zu einem Thema der öffentlichen Auseinandersetzung zu machen. Wo es ein Ministerium gibt, gibt es auch einen eigenen, parlamentarisch bewilligten Haushalt, einen Ausschuß und eine öffentliche Debatte. Ohne Ministerium keine Politisierung dieser Fragen. Erst im Parlament wird klar, wieviel dem Souverän Kunst und Kultur tatsächlich wert sind.

IV. Einwände

Spätestens hier wird es ungemütlich. Erinnert die Rede von der „Politisierung der Kultur“ nicht an die menschen- und geistfeindliche Barbarei der Nazis und – damit nicht gleichzusetzen – an die despotische Gängelung des Kunstbetriebes in der DDR durch die Partei? Gegen dieses Bedenken richtet der Hinweis, daß es auf die „Politisierung der Debatte“, nicht aber um die „Politisierung der Kunst“ gehe, wenig aus. Zu durchlässig scheinen die Grenzen zwischen beidem. Andererseits kann niemand behaupten, daß die Politikferne der deutschen Kultur zum Gedeihen der Demokratie in diesem Lande beigetragen hat. Thomas Manns Wort von der „machtgeschützten Innerlichkeit“ des deutschen Bürgertums und seinem daraus erwachsenden Einknicken vor dem Nationalsozialismus hat an Gültigkeit nichts verloren. Die gemäßigte Politisierung im föderalen System, in Landes- und Stadtparlamenten ist indessen – wie oben gezeigt – an ihre Grenzen gestoßen. Wenn – sofern der durch die Parteien repräsentierte Souverän das überhaupt will – der Niedergang der Bundesrepublik als Kulturstaat verhindert werden soll, bleibt nur noch dieser Weg. Ist er gangbar?

V. Kulturnationalismus?

Es heißt, sich nichts vorzumachen. Wer diesem Projekt das Wort redet, optiert damit auch für einen gewissen Kulturnationalismus. Einen Kulturnationalismus nicht der Inhalte und Themen, aber doch der Strukturen. Alle Kunst und Kultur sind, was ihre Gehalte betrifft – es kann nicht oft genug betont werden – grundsätzlich unrein, bastardisiert, hybride und überdeterminiert. Jeder Gedanke, es könne so etwas wie eine ihrem Wesen nach „eigentliche“, reine und unverfälschte nationale Kunst geben, führt in der Moderne – wie historisch immer wieder erwiesen – zu Faschismus und Rassismus. Das ist bei der Organisations- und Förderungsform von Kunst in Wort, Buch und Musik, auf Bildern und Bühnen, anders. In dieser Hinsicht haben sich in Deutschland mit seinem hochsubventionierten Bühnen- und Ausstellungswesen, der Preisbindung von Büchern und staatlichen Universitäten Strukturen entwickelt, die einer Bewahrung und Entfaltung geistigen Lebens eher entgegenkommen als eine lediglich auf der Verbindung von Geschmack und Markt beruhende, die Kunst wesentlich als Privatangelegenheit betrachtende Organisationsweise.

Daß diese Meinung selbst kulturell geprägt ist, ist nicht zu bezweifeln. Insoweit besteht der Vorwurf des „Kulturnationalismus“ zu Recht. Nimmt diese Haltung zudem durch die Einrichtung eines Kulturministeriums mit Sitz in Berlin sogar institutionelle Gestalt an, sind Konflikte nicht nur innerhalb des zusammenwachsenden Europa erwartbar. Aber: Handelt es sich dabei nicht um Auseinandersetzungen, die sinnvoller und zukunftsträchtiger sind als heuchlerische Streitereien um die Zulässigkeit der Tabakwerbung oder die Krümmung von Bananen?