Grumbeeren an Jahrgangssardinen

Zum zweiten Mal präsentieren sich die langsamen Genießer von Slow Food bundesweit mit einem Festival des guten Geschmacks. In Deutschland mangelt es aber an Hohen Priestern der Qualität  ■ Aus Frankfurt am Main Manfred Kriener

Was, bitte schön, ist eine Jahrgangssardine? Warum reift ein Camembert von außen nach innen, ein Roquefort aber umgekehrt? Warum brauchen Verliebte mehr Salz? Lauter endgültige Fragen, die am Wochenende auf dem Frankfurter Slow Food Festival beantwortet wurden. Zum zweiten Mal präsentierte sich die Bewegung der Langsamkeit, der Genießer und Bewahrer bundesweit der Öffentlichkeit.

Frau Dörr vom Meckenheimer „Sonnenhof“ hat vier Sorten Kartoffeln gekocht. Jeder der rund 1.000 Festivalbesucher darf probieren. Pfälzer Grumbeere pur vom Lößboden, „großgezogen wie ein Kind“. Die Flecken bei den meisten Kartoffeln kommen von Düngerorgien, sagt Frau Dörr. Ihre Erdäpfel haben keine. Die Bäuerin hat ein Notizbuch mit akkurater Handschrift vollgeschrieben. Sobald ein Besucher Fragen stellt, liest sie daraus vor und zeigt mit dem Finger auf den Text. Der Besucher darf mitlesen, daß Kartoffeln Fitmacher sind, daß sie eine zelebrierte Delikatesse am Hofe Ludwig XIV. waren, daß wir 1878 exakt 525 Kilo pro Kopf weggespachtelt haben, heute nur noch 75 Kilo. Am Ende der Kartoffelkunde spendiert sie selbstgemachten Erdbeerlikör. Man wünscht sich, es gebe mehr von ihrer Sorte. Nicht Kartoffeln, sondern Erzeuger: Hersteller von Grundnahrungsmitteln, die „mit viel Liebe“ (Dörr) einfach nur gute Produkte anbieten. Zehn Pfund „Gold aus der Pfälzer Erde“ in bester Qualität für sechs Mark ab Hof. Leider ist Dörr eine Ausnahme. Nicht nur unter den Kartoffelbauern, auch auf dem „Slow-Food-Marktplatz zum Genießen“ im Frankfurter Zoo ist sie eine Rarität.

Wein- und käselastig ist die Präsentation geworden. Noch immer gibt es unter den handwerklichen deutschen Betrieben nicht genügend gute Produzenten und Qualitätsfanatiker, die sich dann auch noch in Hallen stellen und Notizbücher vollschreiben. „Wir haben rumtelefoniert wie die Blöden“, sagt Andrea Arcais, stellvertretender Bundesvorsitzender von Slow Food. Doch am Ende dominierten wieder Winzer und Weinhändler auf der Genießer-Show. Immerhin: Es gab zum Eintrittspreis von 35 Mark auch Saumagen, Pralinen, Öle, Whiskeys, Biere oder die sensationellen Essige des Venninger Doktorenhofs zum Probieren. Und die Wurst vom Schwäbisch- Hällischen Landschwein. 65 Mark mehr pro Sau bekommen die Erzeuger der seltenen Rasse dafür, daß sie die Tiere vernünftig halten und langsam mästen. Ein Reservat im Kampf gegen die EU-Schweinemaschine mit ihrer Turbomästung, ihren Massenkeulungen und Arzneiskandalen.

In den Seminaren werden Maultaschen und Austern verkostet, Kaffees, Malt-Whiskeys oder seltene Rotweinsorten geschlürft, wird Vollwertkost für Genießer serviert. Das Publikum von 25 bis 50 repräsentiert den aufgeklärten Verbraucher. Da wird nicht mit abgespreiztem Finger auf Tellerchen gestochert, da wird lustvoll, aber ohne Schnickschnack probiert und gegessen.

Die großen Widersacher der langsamen Genießer – die Knorrmaggioetker-Krake und die Agroindustrie – blitzen in den Arbeitskreisen und Geschmackslaboren des Festivals zwar immer mal auf, wenn etwa Referent Guy Bonnefoit im Seminar „Käse und Wein“ über die Bedrohung der Rohmilchkäse wettert oder Bernd Neuner-Duttenhofer im „Sardinen-Seminar“ die schnelle Hocherhitzung bei der Fisch-Konservierung rügt. Aber die einzige Veranstaltung, die explizit den Gegner ins Visier nimmt, die Podiumsdiskussion über die Aroma-Mafia, fällt aus.

So präsentiert sich Slow Food im sechsten Jahr in Deutschland zwar mit wachsender Mitgliederschaft und „Convivien“ (Ortsgruppen) in 34 Städten. Aber Slow Food muß noch zeigen, daß man sich als gesellschaftliche und politische Kraft auch wirklich einmischen will. Ökologen und Genießer Schulter an Schulter – eine ehrfurchtgebietende Konstellation. Daß die neue Bewegung Charme und Ausstrahlung hat, zeigen die internationalen Erfolge. Slow Food ist inzwischen in 35 Ländern aktiv mit bald 100.000 Mitgliedern.

PS: Jahrgangssardinen sind mit Jahresdatum in allerbestes Olivenöl eingelegte Spitzensardinen, die in der Dose Jahrzehnte reifen.