Kollaps der zivilen Rechten

■ Die französischen Konservativen lassen sich von Le Pen wählen

Wenn es nur die 15 Prozent wären, die bei den Regionalwahlen an die Front National gegangen sind. Dann könnte man sich darauf konzentrieren, über die mehr als drei Millionen Franzosen nachzudenken, die seit Jahren rechtsextrem wählen. Aber es ist viel schlimmer: Frankreichs zivilisierte Rechte hat ihren Anstand verloren. Sie hat ihre historisch gewachsene Präferenz für den republikanischen Block aufgegeben und ihre Tabus gegenüber den Rechtsextremen fallengelassen. Sie hat sich in die Abhängigkeit von der Front National begeben, die es darauf abgesehen hat, sie zu schlucken und die fünfte Republik abzuschaffen. Damit ist ein Grundkonsens der französischen Nachkriegsgeschichte zerbrochen.

Alle französischen Parteien, von der KP über die Sozialisten bis hin zu Neogaullisten und Liberalkonservativen, hatten sich bisher mit unterschiedlicher historischer Berechtigung auf die Werte der Résistance berufen. Das war zugleich ein Bekenntnis gegen die Kollaboration. Gegen das Vichy-Regime, das die Kapitulation unterzeichnete und das Nazisystem auf Frankreich übertrug. Nur die Front National tat das nicht. Sie wurde nicht nur von alten Kollaborateuren gegründet, sondern bezeichnet den Holocaust auch als „Detail der Geschichte“.

Die Allianzen konservativer Politiker mit den Rechtsextremen lösen nun diese tiefste Trennlinie auf, die es bislang in der französischen Politik gab. Die bürgerliche Rechte wertet damit die Rechtsextremen auf und erleichtert der Front National den Vormarsch auf Paris und die Regierung. Für die liberalkonservative UDF, aus der die meisten Allianzpolitiker kommen, bedeutet diese neue Politik ganz sicher das Aus. Aber auch für die neogaullistische RPR, deren Gründer Staatspräsident Jacques Chirac sich mit seinen Warnungen kaum Gehör verschaffen konnte, ist mit den regionalen Allianzen ein Damm gebrochen.

Daß der Zusammenbruch der französichen Rechten mit dem Ende des einzigen Prozesses gegen einen hohen französischen Staatsdiener wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenfällt, ist kein Zufall. Sowohl der Papon-Prozeß als auch die neuen Allianzen zeigen, daß die Berührungsängste zwischen alten Résistants und neuen Kollaborateuren, zwischen Rechten und Rechtsextremen in Frankreich verschwinden.

Dorothea Hahn Bericht Seite 5