Ausquartierte Tanten

Ein Hotel ist der ideale Aufenthaltsort für notorische Wohnzimmerflüchter. Tag der offenen Tür in hanseatischen Herbergen  ■  Von Lisa Schönemann

Zuhause ist es doch am schönsten, brabbelt der Volksmund so vor sich hin. Ein scharfer Blick auf das Innenleben der eigenen Behausung beweist jedoch in sekundenschnelle das Gegenteil: Die besten Plätze werden je nach dem Stand der Sonne von der Katze oder dem Wäscheständer okkupiert. Niemand hilft einem bei der Entscheidung, welche Zeitschriften jetzt fällig sind für's Altpapier. Wie anders ist es da im Hotel!

„Weit, weit weg“in einem Fremdenzimmer zu leben und das Hotel zu wechseln, sobald das Etablissement seinen Reiz eingebüßt hat, erscheint nicht nur dem Schriftsteller Thomas Bernhard als einziger Ausweg aus der häuslichen Misere. Eine atmosphärisch behagliche Unterkunft muß dabei keinesfalls an der plaza mayor einer südspanischen Enklave liegen. Für den Fall, daß es daheim fad' ist, bietet die Hansestadt in 241 Beherbergungsbetrieben rund 25.000 Hotelbetten an. Und: Am nächsten Sonntag laden 76 Betriebe zum „Tag der offenen Tür der Hamburger Hotellerie“ein.

Gemeinhin kommen nur ungeliebte Angehörige in den Genuß einer Hotelübernachtung. Das Motto „Im Hotel ist selbst ihre Tante eine nette Verwandte“hat sich der Gastgewerbeverband Hamburg ausgedacht. Darin steckt ein Fünkchen Wahrheit, da selbst die besten Freunde an den Nerven zerren, wenn sie tagelang auf dem Sofa campieren. Die eigentliche Botschaft an den Besuch müßte jedoch heißen: „Ihr findet mich in der Pension gegenüber“und „fühlt Euch nicht wie zuhause“.

In den Reservierungslisten der Hamburger Hotels klafft eine Lücke, die es zu füllen gilt. Die Bettenauslastung ging seit 1991 von 54 auf 45 Prozent zurück. Statt dessen übernachten viele Städtetouristen in Privathaushalten – dreimal so viele wie in den Hotelbetrieben. Demnach müßten jährlich ganze Geschwader von Tanten die Badezimmer ihrer Gastgeber blockieren. „Würden wir nur ein Prozent der zwölf Millionen Privattouristen für die Hotellerie gewinnen, wären dies bereits 120.000 Übernachtungen mehr“, hat Dietrich von Albedyll, Geschäftsführer der Tourismuszentrale, ausgerechnet.

Die Fremdenverkehrsmanager versprechen sich von der Aktion „Ihr Gast liegt uns am Herzen“, ein deutliches Umsatzplus. Am kommenden Sonntag wird in 76 Häusern zum Brunch geladen. 1001 Doppelbetten werden frisch bezogen und kosten in der Nacht zu Montag 111 Mark Liegegebühr. Vom „Kaffee auf der Lindenterrasse im Hotel Jacob“(mit Elbblick) in Nienstedten bis zum Streichquartett im „St.Annen Hotel“auf St.Pauli wird überall die Gastfreundschaft nach außen gekehrt.

Bei der Gelegenheit sollen Touristen von außerhalb die Hansestadt vor allem „als Standort“zukünftiger Geschäftsideen betrachten, mahnt der Präses der Wirtschaftsbehörde, Thomas Mirow, der seinem privaten Wohnzimmer das New Yorker „UN-Plaza“mit Blick über Manhattan vorzieht. „Jedenfalls zu Zeiten, in denen ich noch kein armer Senator war“, so seine Einschränkung.