Fließende Vertonung von Museumsglas

■ Uraufführung von Younghi Pagh-Paans „Go-Un Nim“durch das Staatsorchester

„Madi“(Knoten), „U-Mul“(Der Brunnen), „Ma-Um“(Mein Herz), „Hwang To“(Gelbe Erde), „No-Ul“(Der Sonnenaufgang), „Man-Nam“(Die Begegnung) – die koreanischen Titel der Kompositionen von Younghi Pagh-Paan scheinen von etwas Persönlichem zu sprechen. Dies ist jedoch nur vordergründig, denn alle Begriffe sind ebenso politische wie ästhetische Symbole und Metaphern. Alle diese Kompositionen beruhen auf außermusikalischen Vorstellungen. Und so verwundert es auch nicht, daß die Bremer Professorin für Komposition (seit 1993) für ihr erstes „Heimspiel“, einem Auftrag des Kunstvereins, ein Stück mit dem Namen „Go-Un Nim“(Lobpreisung) schrieb. Nim, ein nicht direkt übersetzbares Wort, bedeutet immer das, was man lobpreisen kann, weil es ein wesentliches Lebensprinzip ist: So ist für Buddha der Mensch NIM, für Kant die Philosophie, für die Rose der Frühlingsregen. Und für Younghi Pagh-Paan die Musik und für den Kunstverein die Kunsthalle: Anläßlich ihrer Wiedereröffnung wurde die gut zehnminütige Komposition „Go-Un Nim“von achtzehn Instrumentalisten des Philharmonischen Staatsorchesters jetzt unter der Leitung von Günter Neuhold uraufgeführt. Diese überregional bedeutende Uraufführung ist der deutlichste Beweis seines Einsatzes für die zeitgenössische Musik, denn üblich ist bei solchen Anlässen noch immer die Festemphase zum Beispiel eines Beethoven: Dies Lob gilt natürlich auch dem Kunstverein für eine solch innovative Tat.

„Ich möchte mich auf eines verlassen können: Daß ich keine Musik schreiben werde, die mich von dem entfernt, was mir als Wurzel unserer Kultur bis heute innewohnt“: So ist in diesem Werk für acht Streicher, acht Bläser und zwei Schlagzeuger denn auch wieder das zu hören, was Pagh-Paans Musik für uns so fremd, gleichzeitig aber so authentisch macht. Das ist in der Tradition der koreanischen Musik der fließende Rhythmus, der nicht für sich besteht, sondern die Modi artikuliert, da ist die Ausdifferenzierung des Einzeltones, da ist die Akkordbildung als Folge der horizontalen Linien. Pagh-Paans Stücke entstehen nicht durch thematische Verarbeitung irgendwelcher Einfälle, nicht durch mathematische Konstruktionen, nicht durch dualistische und dramatische Konfrontationen, sondern sind ein archaisch anmutender Zustand, ein fließendes und biegbares Gebilde, das vielfältigen Aushorchungen unterworfen ist. Im Falle von diesem Stück hat die Komponistin die Vorstellung einer Klangsäule – nach dem Oberlichtraum der Kunsthalle – , die in ihrem schwebenden, immer anders beleuchteten Zustand in ihrer Irrealität eine faszinierende Eindringlichkeit zeigt. Die MusikerInnen des Orchesters bildeten die glissando-getränkten Verzweigungen auf das Empfindsamste nach und führten mit Günter Neuhold die flirrende Klangsäule zu einem großen Erfolg.

Über das neue Werk Pagh Paans konnte man sich umso glücklicher schätzen, als der Kunsthistoriker Werner Knopp, Präsident a.D. der Stiftung preußischer Kulturbesitz, sich in seinem Festvortrag dazu entschlossen hatte, uns zu langweilen und eine dreiviertel Stunde lang hinreichend bekannte Fakten über das Verhältnis zwischen Staats- und privaten Geldern vorbetete. An diese Stelle hätte ein brillanter philosophischer Vortrag gehört.

Ute Schalz-Laurenze