■ Die Fixierung auf den Benzinpreis verstellt, was die Grünen wollen: Eine umfassende Ökosteuerreform, die auch für die SPD akzeptabel ist
: Worum es wirklich geht

Der Beschluß des Magdeburger Parteitags zum Benzinpreis hat für öffentliche Empörung gesorgt. Angesichts der Lasten, die die Politik der letzten Jahre den Klein- und Durchschnittsverdienern aufgebürdet hat, erscheint vielen fünf Mark pro Liter Benzin als eine Art fiskalisches Raubrittertum. Eine Versachlichung der Debatte ist nötig: Die Ökosteuer soll Energieverbrauch mehr, Arbeit weniger belasten. Das heißt, Steuerbelastungen sollen anders verteilt, nicht ins Uferlose gesteigert werden. Wer bei der Energiebesteuerung vor spürbaren Mehrbelastungen zurückschreckt, wird die Arbeitskosten kaum entlasten können.

Der Bekennermut macht den Grünen den Wahlkampf schwer. Doch eine Ökosteuer light, die möglichst wenig spürbar ist, wird die Ökosteuer zu einem Instrument der Haushaltssanierung degradieren. Die zu erwartenden positiven Effekte für Wirtschaft und Arbeitsmarkt würden ausbleiben. Zentrales Ziel der Ökosteuer ist es, Energie teurer und Arbeit preiswerter zu machen. So sollen neue Arbeitsplätze geschaffen und ein Innovationsschub für energiesparende Technologien und Verfahrensweisen ausgelöst werden.

Das Ökosteueraufkommen nach dem grünen Konzept soll im ersten Jahr 53 Milliarden Mark ausmachen, im zehnten Jahr 265 Milliarden Mark. Das ist soviel wie die gesamte Lohn- und Einkommenssteuer 1998 (268 Milliarden Mark) oder 59 Prozent des Bundeshaushalts von 1998 (457 Milliarden Mark). Diese Zahlen machen deutlich, in welchem Umfang das Steuersystem umgebaut werden soll.

Das grüne Ökosteuerkonzept bietet eine grundlegende Alternative zum vor allem von der FDP propagierten „armen Staat“ und zur aktuellen politischen Lähmung. Die Einnahmen – und das ist entscheidend – sollen allerdings nicht zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen verwandt werden, sondern zum ökologischen Umbau der Wirtschaft mit Anpassungshilfen für besonders energieintensive Branchen und für ein internationales Klimaschutzprogramm. Auch ein sozialer Ausgleich für einkommensschwache Haushalte ist vorgesehen. Vor allem aber werden die sozialen Sicherungssysteme, die Renten- und die Arbeitslosenversicherung entlastet. In zehn Jahren soll der Anteil an der Finanzierung der Lohnnebenkosten von einem auf sechs Prozentpunkte steigen. Nach vier bis fünf Jahren wird die Ökosteuer auch zur Senkung der Einkommens- und Unternehmenssteuer beitragen und im zehnten Jahr mit 100 Milliarden Mark ein Drittel der Steuern von der Arbeit auf den Energieverbrauch verlagern. Die Mehrbelastungen durch die Energie- und Mineralölsteuer werden also über Entlastungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen und niedrigere Steuern ausgeglichen. Gleichzeitig soll die Ökosteuer Anreize zum sparsamen Energieverbrauch und zur massenhaften Einführung von Energiespartechnologien geben. Wenn mit schrittweise steigenden Energiekosten die Industrie endlich das Dreiliterauto auf den Markt bringt, wenn es einen Investitions- und Innovationsschub in Wärmedämmung, verbrauchsarmen Heizungen und regenerativer Energieerzeugung gibt, wird es nicht nur neue Arbeitsplätze geben. Auch der Verbraucher wird dann nicht mehr zahlen als heute. Mit diesen Bausteinen zielen die Grünen nicht nur ökologisch, sondern auch volkswirtschaftlich und sozial auf eine radikale Reform. Die existentielle Abhängigkeit aller bisherigen Politikkonzepte vom Zwang zur Steigerung des Wirtschaftswachstums kann nur so durchbrochen werden. Dabei wird die Ökosteuer nicht zwangsläufig zu mehr oder weniger Wirtschaftswachstum führen. Sie wird einigen Branchen Boomzeiten, anderen jedoch zunächst Schwierigkeiten bereiten. Sie ist auch keine Allheilmittel gegen die ökonomische und soziale Krise. Doch entscheidend ist, daß die Wirtschaftsentwicklung vom Umweltverbrauch abgekoppelt wird und daß Reformen nicht abhängig sind vom „Warten auf Wirtschaftswachstum“.

Auch die SPD will den Einstieg in die Ökosteuer, doch „überzogene und untragbare Belastungen wird es mit der SPD nicht geben“, beteuert der Anfang März bekanntgewordene SPD-Entwurf für ein Regierungsprogramm. Zieht man die Andeutungen aus dem Entwurf zum SPD-Wahlprogramm zusammen mit der Position der SPD aus den Steuerreformverhandlungen, so kommen etwa drei Pfennig Steuer pro Liter leichtes und schweres Heizöl und zehn Pfennig pro Liter Dieselkraftstoff heraus. Lafontaine hat kürzlich im Spiegel von einer Benzinpreiserhöhung von zehn Pfennig im ersten Jahr, danach jedes zweite Jahr fünf Pfennig gesprochen.

Aus diesem Mineralölsteueraufkommen soll im wesentlichen die Entlastung der Rentenversicherung von versicherungsfremden Leistungen finanziert werden. Zu einem ökologischen und arbeitsmarktpolitischen Steuerungsinstrument kann dies nicht werden. Und so steht die SPD zwischen Baum und Borke – sie hat ein Wahlprogramm voller Versprechungen vorgelegt, daß die Quadratur des Kreises verspricht, nämlich Senkung von Steuern und Abgaben auf der einen und viel neue Förderung für Innovation, Arbeitsmarkt, Bildung, Mittelstand etc. auf der anderen Seite. Dazwischen steht ein großer Finanzierungsvorbehalt. Die SPD läuft so Gefahr, de facto nur geringfügige Veränderungen durchsetzen und finanzieren zu können. Denn diese sind nur insoweit möglich, wie das Wirtschaftswachstum das Steuersäckel endlich füllt. Dabei ist unübersehbar, daß dieses Modell nicht mehr funktioniert, seit sich das Wirtschaftswachstum von Arbeitsmarkt, Einkommensentwicklung und Steueraufkommen abgekoppelt hat.

Die SPD vermeidet mutige Schritte in die Zukunft, weil sie niemandem weh tun will – am wenigsten sich selbst. Würde sie auf das Ökosteuerkonzept nicht nur ausweichend strukturkonservativ reagieren, sondern strategisch, dann müßte es sie eigentlich in Haßliebe zerreißen. Wo die Volkspartei panische Angst vor der Zumutung eines großen Reformschritts für Bevölkerung und Wirtschaft hat, müßte andererseits das sozialdemokratische Herz jauchzen, wenn staatliches Handeln und Reformstrategien über die Notstandsverwaltung hinaus wieder möglich und finanzierbar werden.

Gerhard Schröder wäre darum gut beraten, wenn er das grüne Ökosteuerkonzept einmal ernsthaft prüfte, bevor er „alles Quatsch“ ruft. So könnte er wirklich zum Modernisierer werden, nicht nur zu einem verjüngten Kohl. Franziska Eichstädt-Bohlig