Eine Partei weiß nicht, wie ihr geschieht

Die Grünen im Zustand der Verwirrung: Jäh vom Erfolgskurs ins Umfragetief gestürzt, beschwört die grüne Spitze hektisch die Geschlossenheit der Partei. Und fürchtet sich gleichzeitig vor der nächsten Hiobsbotschaft  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

„Was ist jetzt los?“ fragt Parteisprecherin Gunda Röstel verwirrt, als sie gemeinsam mit Fraktionschef Joschka Fischer in der Zentrale der Bündnisgrünen eintrifft und dort ihren Kollegen Jürgen Trittin von Mikrofonen umringt sieht.

Die Medien waren zum Treffen von Partei- und Fraktionsspitze nicht gebeten worden. Aber angesichts dramatischer Verluste bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein, einer anhaltenden Debatte um den Benzinpreis und einer neuen Diskussion über den politisch korrekten Urlaub werden Beratungen der Grünen zur Krisensitzung. Zu der erscheinen Journalisten halt auch ohne Einladung.

Joschka Fischer verschwindet mit Gunda Röstel erst einmal in einem Büro ganz hinten am Gang, weit weg von den Kameras. Ein paar Minuten später stellt er sich dann doch davor und betont die Bedeutung einer verbesserten „Außendarstellung“ der Partei. Damit ist das allerdings so eine Sache. Gerade hat Trittin fröhlich lachend die Ansicht von Halo Saibold als „Schwachsinn“ bezeichnet. Die Bundestagsabgeordnete meint, für die Deutschen reiche alle fünf Jahre eine Urlaubsreise mit dem Flugzeug „vollkommen aus“ und hat das der Bild am Sonntag erzählt. Trittin dazu: „Ich mach' schon kein Wochenende. Da will ich wenigstens zweimal im Jahr in Urlaub.“ Aber die Äußerungen stammten schließlich aus der Fraktion, deshalb müsse sich auch die Fraktion damit befassen. Dort gebe es übrigens zu der Sache schon ein Papier.

Von so einem Papier will Joschka Fischer nichts gehört haben. Auch seine Kollegin Kerstin Müller schüttelt den Kopf. Sie hat allerdings immerhin einen interfraktionellen Bundestagsantrag mitgebracht und läßt ihn kopieren. Darin wird eine europaweite Besteuerung für Flugbenzin gefordert. Der Antrag wird auch von den Regierungsparteien mitgetragen. Will das irgend jemand wissen? Wirklich nicht. Appelle zur Versachlichung der Diskussion verlieren ihre Wirkung, wenn sie von der Außenpolitik über den Benzinpreis bis hin zum Luftverkehr wöchentlich im Zusammenhang mit immer neuen Themen beschworen werden.

Dabei war doch noch vor ein paar Wochen alles richtig lustig gewesen. Da stellten die Bündnisgrünen ihre Wahlkampagne vor – die mit dem lächelnden Ü –, und die Presse freute sich über die dazu passenden flotten Sprüche. „Verwaigelt euch.“ Ach ja. Zehn Mandate müßte die Partei bei den Bundestagswahlen hinzugewinnen, verkündete Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle. Damals schien das ein realistisches Ziel zu sein. Heute gibt es führende Grüne, die hinter vorgehaltener Hand darüber sinnieren, ob der Sprung über die Fünfprozenthürde wirklich gesichert ist. Dabei meinen sie nicht die Landtagswahlen in Sachsen- Anhalt am 26. April. An einen Erfolg dort glauben ohnehin nur noch wenige.

Die Grünen scheinen derzeit nicht zu wissen, wie ihnen geschieht. Jäh vom Erfolgskurs ins Umfragetief gestürzt, beschwört ihre Spitze hektisch immer wieder die Geschlossenheit der Partei und fürchtet sich gleichzeitig mit eingezogenem Kopf vor der nächsten Hiobsbotschaft aus den Reihen der Basis.

Die wird nicht lange auf sich warten lassen. Hinterbänkler melden sich auch in anderen Parteien mal mit schrägen Äußerungen zu Wort. Aber nur bei den Grünen kann es passieren, daß die „tourismuspolitische Sprecherin“ hustet und die Partei bundesweit an Lungenentzündung erkrankt. Seit Jahren wird versucht, parteiinterne Zerreißproben mit prononciertem Widerstand gegen Hierarchien zu umgehen. Alle dürfen alles sagen. Immerzu. Das wirkt liebenswert, solange die Regierungsmacht in weiter Ferne zu liegen scheint. Rückt diese in greifbare Nähe, erweckt es nur noch den Eindruck mangelnder Professionalität.

Heute steht in Bonn die nächste Runde im Prozeß der Selbstzerstörung auf der Tagesordnung. Die grüne Bundestagsfraktion wird neben anderen Themen über die Haltung der Abgeordneten zur Nato- Osterweiterung beraten. Neuer Streit ist programmiert. Es bedarf keiner prophetischen Gaben, um vorherzusehen, daß manche Parlamentarier von der Anwesenheit der Medien wieder sehr überrascht sein werden.

Die Zerrissenheit der Partei ist mindestens ebensosehr kultureller wie politischer Natur. Die Grünen werden in diesen Tagen von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die umstrittenen Beschlüsse sind in ihrer Wirkung nicht deshalb so verheerend, weil sie unsinnig und falsch wären, sondern weil sie ein tiefsitzendes Mißtrauen gegen die Partei begründet erscheinen lassen.

Die Ökos wollen uns den Spaß verderben. Autofahren sollen wir uns nicht mehr leisten können und in die Sonne höchstens noch alle fünf Jahre fliegen dürfen. Werden da alte Erinnerungen wach? Die Zeit der Bewegungen, die die Grünen hervorgebracht haben, war geprägt von einer Sicherheit in Fragen der Moral und dessen, was sich gehört, die die katholische Kirche und bürgerliche Gesellschaft vor Neid erblassen lassen konnten.

Was hat davon heute noch Gültigkeit, was ist überholt? Einige wenige grüne Spitzenpolitiker – darunter Joschka Fischer – haben sich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Die Öffentlichkeit weiß, was ihnen davon erhaltenswert erscheint und was sie im Rückblick für politische Irrtümer halten. Die Partei als Ganzes hat sich um diese Aufgabe und damit um die Frage nach ihrer Identität über Jahre hinweg gedrückt.

In dem Versuch, auf der Reise zur Macht möglichst niemanden unterwegs zu verlieren, geht der Partei das Gesamtprofil verloren. Heide Rühle nannte gestern die Äußerungen von Halo Saibold eine „Riesendummheit“. Dann fügte sie hinzu: „Wir schreiben den Leuten nicht vor, was sie zu machen haben.“ Vielleicht sollte eine Partei, die einen der einflußreichsten Industriestaaten der Welt regieren möchte, damit doch einmal anfangen.