Gerhard Schröder kritisiert Israels Siedlungspolitik

■ Zu Besuch in Jerusalem gibt sich der Kanzlerkandidat der SPD bewußt staatsmännisch

Jerusalem (taz) – Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder hat gestern in Jerusalem die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel hervorgehoben. Seine erste Auslandsreise als Präsident des deutschen Bundesrates habe ihn bewußt nach Israel geführt, sagte der Kanzlerkandidat der SPD. In einem Gespräch mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe er deutlich gemacht, daß auch die „junge Politikergeneration“ die historische Verantwortung für die Vergangenheit nicht ablegen werde. „Es gibt keine Gnade der späten Geburt“, sagte Schröder.

Er räumte ein, daß es trotz der „ausgezeichneten Beziehungen“ Meinungsverschiedenheiten mit der israelischen Regierung gebe, besonders in Hinsicht auf die israelische Siedlungspolitik. „Eine aggressive Siedlungspolitik widerspricht dem Geist der Vereinbarungen von Oslo“, sagte Schröder. Die Siedlungspolitik entscheide auch darüber, welches Maß an Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern gebildet werden könne. Im Gegensatz zur Haltung der israelischen Regierung, sagte Schröder weiter, daß sich die Errichtung eines palästinensischen Staates aus der Anlage des mit Geheimverhandlungen in Oslo eingeleiteten israelisch-palästinensischen Friedensprozesses ergebe. Und: „So wie er angelegt ist, sollte er auch zu Ende gebracht werden.“

Als Kanzlerkandidat und möglichem Kohl-Nachfolger wird Schröder in Israel besondere Aufmerksamkeit zuteil. Im Gegensatz zum britischen Außenministes Robin Cook, dessen Besuch wegen einer Visite der Siedlung Har Homa in Ost-Jerusalem zu einem Eklat geführt hatte, gab sich Schröder staatsmännisch.

Vor dem Treffen mit Netanjahu hatte Schröder die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht und dort einen Kranz niedergelegt. Schröder zeigte sich tief bewegt und meinte nachher, er finde keine Worte, um das Ausmaß des Schreckens zu ermessen. Nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Kofi Annan fuhr Schröder gestern abend zu einem Treffen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat in den Gaza-Streifen. Heute Mittag will er in den Libanon weiterreisen. Georg Baltissen