Der große Schlaf im großen Netz

■ Kapitalfluß, Koks, Computerjunkies: Peter Otts Cyber Noir Die Spur im Metropolis

Ein Bild ist ein Bild und nichts weiter; es kann weder lügen noch die Wahrheit sagen, ein Bild besitzt allein Oberfläche. Nicht zufällig steht die Oberfläche im Zentrum von Die Spur, dem Cyber Noir des Hamburgers Peter Ott – genauso wie dies ein Kernbegriff der postmodernen Philosophie ist. Und so sieht dieser Film mit seiner Computer-Ästhetik aus: übereinandergeschichtete Macintosh-Windows, provisorische Wohnungen, automatische Bilder von Überwachungskameras. Das sind Oberflächen ohne Charakter, die sich genauso hartnäckig wie der Film jeder Tiefenstruktur verweigern.

Die Figuren existieren nurmehr als Chiffren, heißen Detektiv, Frau oder Autor und sind bar jeder Psychologie. Sie besitzen Funktionen im Räderwerk des Plots, sonst nichts. Wenn im Film Noir – das unverkennbare Vorbild ist The Big Sleep – den Figuren am Ende gleichzeitig mit den Zuschauern klar gemacht wird, daß sie nichts weiter sind als Schachfiguren, dann ist das tragisch. In Die Spur kann nichts mehr tragisch sein, weil das immerwährende Kokainschnupfen der Charaktere nichts weiter ist als ein Verweis der eigenen Verstrickung in die globalen Geldkreisläufe, denen die Detektive nachspüren. Wahrheit und Unschuld sind längst verloren – so wie jede Position, von der aus man Kritik üben könnte.

Doch hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Der Zuschauer hat keinen Zugang, so sehr sich der Autor auch mitdenkt und selber zur handelnden Person wird. Das Kino beinhaltet auf eine Art immer eine Entmündigung, weil die Abfolge der Bilder und Töne vorherbestimmt ist. Gerade bei einem Film, der gegen diese Linearität rebelliert, macht sich diese Machtlosigkeit des Zuschauers gegenüber dem Medium umso stärker bewußt.

Alles fließt: Daten im Computer und Kapital im internationalen Netz der legalen und illegalen Anleger. Alle Dinge werden ebenso in ihrer materiellen Substanz wie in ihrer immateriellen bemüht – Geld, Gehirn, Daten.

Auch als Krimi ließe sich der Film erzählen: Frau beauftragt Detektiv mit Ermittlungen über Finanzaktivitäten, schon gibt es die erste Leiche. Die Frau stellt sich als Schauspielerin heraus, die nur eine Rolle spielt, dafür taucht aber die wirkliche Frau auf und vergibt einen neuen Auftrag. Dies bringt den Detektiv auf die Spur internationaler Drogenschmuggler. Er wird verfolgt, verletzt, schläft mit der Frau, raucht wie ein Schlot und benimmt sich auch sonst ziemlich Film-Noir-mäßig.

Der Film schwankt zwischen Raymond Chandler und Deleuze/Guattari. Der Plot ist so fragmentiert wie die Charaktere und zeigt Ausschnittsvergrößerungen. Elemente werden isoliert, in ihrer Funktion sichtbar gemacht, doch das hat seinen Preis: Die Maschine läuft nicht mehr. Das soll sie natürlich auch nicht, es geht um Dekonstruktion, um Visualisierung der vernetzten Ebenen.

Die Protagonisten sind Veteranen des Häuserkampfs der Siebziger und Achtziger. Die koksenden Post-Punks arbeiten heute als Wirtschaftsdetektive mit Powerbook und Hochleistungs-Scanner, um die Schiebereien der internationalen Konglomerate aufzudecken und verstehen sich „trotz aller Paradigmenwechsel immer noch als Kollektiv“. Doch selbst der Drogenkonsum bringt keine neue Tiefe hervor, sondern macht die Flachheit der verspiegelten Oberflächen nur momentan erträglicher. Malte Hagener Fr, 27., 21.15 Uhr; So, 29., 19 Uhr; Di, 31. März, 21.15 Uhr,

Metropolis