■ Die Kürzungen für Flüchtlinge können noch verhindert werden: Widerstand lohnt
Irgendwie, so scheint's, ist zum Widerstandleisten immer der falsche Zeitpunkt. Kommt der Protest gegen politische Fehlentscheidungen zu früh, schert sich in der Öffentlichkeit niemand um die wenigen Aufrechten. Rührt sich dann Opposition auf breiter Front, sei's 1998 beim Transport des Castor oder 1992 bei der Kastration des Asylgesetzes, sind die Paragraphen, Ausführungsbestimmungen und Dienstverordnungen längst beschlossen – Pech für die Protestler.
Diesmal hat das Timing gestimmt. Technisch verquast und in seinen Auswirkungen undurchschaubar las sich ein Gesetzentwurf, der im Februar im Bundesrat gelandet war. Hätten nicht Basisinitiativen Alarm geschlagen, dann wären weder Medien noch Politik auf die Konsequenzen aufmerksam geworden: Mehreren hunderttausend Flüchtlingen droht durch das Gesetz, das heute im Bundestag beraten wird, der totale Entzug von Sozialleistungen – eine „Politik des Aushungerns“, wie amnesty das nennt.
Ein wenig verschämt mußte gestern zum Beispiel die SPD einräumen, daß ihre Landesminister schlicht nicht wußten, welchen Maßnahmen sie im Bundesrat zur Mehrheit verholfen hatten. Besonders bemerkenswert: Während die CSU sonst nicht müde wird, Flüchtlingsinitiativen Hysterie und Panikmache zu unterstellen, hat diesmal just das Bundesgesundheitsministerium von CSU-Mann Horst Seehofer die Behauptung der Inis bestätigt, daß von der Regelung auch 250.000 Bürgerkriegsflüchtlinge betroffen sind.
Vom Tisch ist der Gesetzentwurf freilich noch lange nicht. Doch anders als so oft, wenn ein Vorschlag erst mal in den Mühlen der parlamentarischen Gesetzesbäckerei gelandet ist, läßt sich diesmal das Schlimmste womöglich noch verhindern. Unter dem Druck eines ungewöhnlich breiten Bündnisses von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsorganisationen erwägen offenbar einige SPD-Länder, ihren eigenen Bundesratsbeschluß zu korrigieren. So hat sich etwa der SPD-beherrschte Landtag in Brandenburg – aufgeschreckt von den öffentlichen Protesten – gegen die Novelle ausgesprochen, der kurz zuvor die eigene Landesregierung zugestimmt hatte. Widerstand regt sich auch in der Berliner SPD.
Im Klartext: Um das Gesetz zu stoppen, muß die kritische Öffentlichkeit dort, in Niedersachsen und im Saarland rebellieren. Ausnahmsweise, so scheint's, gibt es diesmal einen richtigen Zeitpunkt, um Widerstand zu leisten: jetzt. Patrik Schwarz
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