Schröder hält in Israel Schrittempo

„Automann“ Gerhard Schröder bleibt bei seiner außenpolitischen Bewährungsfahrt pannenfrei. SPD-Kanzlerkandidat übt Kritik an der Siedlungspolitik  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Fettnäpfchen stehen in Israel für jeden bereit, der hineintreten will. Mit bangem Gefühl sei er jedoch nicht nach Israel gekommen, sagt Gerhard Schröder. Und fügt an: „Aber Routine ist es nicht.“ Seine erste Auslandsreise als SPD- Kanzlerkandidat und Bundesratspräsident ins Minenfeld des Nahen Ostens geschah auch auf israelisches Drängen hin, aus Anlaß der 50-Jahr-Feiern des Landes. Schröder weiß, daß jedes seiner Worte, jede Mimik aufmerksam verfolgt wird. In Deutschland wie in Israel. Und er weiß, daß er den Staatsmann spielen muß: mal souverän und locker, mal ernsthaft und nachdenklich. Er läßt keinen Zweifel aufkommen, daß er sein Metier versteht.

Beim Gang durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die Schröder nicht zum ersten Mal besucht, spielt er nicht. Da ist er überwältigt von dem Schrecken und Grauen. Nur schwer bringt er einen Satz heraus. Er schweigt bei der Kranzniederlegung am Grabe des ermordeten Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin. Erst am Spätnachmittag dieses zweiten Besuchstages bei einem Vortrag vor gemischtem deutsch-israelischen Publikum greift er beide Themen wieder auf. Er lobt Rabins praktischen Willen zum Frieden und fügt hinzu: „Ich glaube, Israel kann sehr stolz sein auf Rabin.“ In Yad Vashem, sagt er, habe er ein „Gefühl von Betroffenheit und tiefer Beklommenheit erlebt, das niemals ganz weggehe“. Die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Das erfordert, zumal als Deutscher in Israel, Vorbereitung, Geschick und ein gutes Gespür. Sein Vortrag steht unter dem Motto „Frieden verlangt wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftliche Entwicklung verlangt Frieden“, ein Lieblingsthema des Ministerpräsidenten, der sich auch in Israel gerne als „Automann“ titulieren läßt. Aber erst einmal muß er den Übergang schaffen und die beklemmende Vergangenheit in den Hintergrund drängen. Da ist eine kleine Spitze genau das Richtige: „Ich bin froh, hier gestern noch ein Abendessen bekommen zu haben“, sagt Schröder in Anspielung auf die brüske Absage eines Abendessens für den britischen Außenminister Robin Cook durch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Und um die Atempause zu verlängern, fügt er hinzu: „Das ist ja nicht jedem vergönnt, wie wir wissen.“ Er hat die Lacher auf seiner Seite. Jetzt kann er widerspruchslos sein Recht auf Kritik an der israelischen Siedlungspolitik einklagen, er nennt sie „aggressiv“ und unvereinbar mit dem Geist der Oslo-Vereinbarungen und macht sich damit frei von einer allzu engen Umarmung durch die Regierung Netanjahu. Schröder tritt als Pragmatiker auf, nicht als Visionär: „Jetzt müssen die Dinge gelöst werden, die lösbar sind“, sagt er. Und das sind für ihn vor allem Infrastrukturmaßnahmen und Wirtschaftsförderung in den palästinensischen Gebieten. Sein Schlußsatz dann wieder eine Referenz an die Gastgeber: „Deutschland wird die Sicherheit Israels immer unterstützen.“ Die Vorsicht eines Taktikers und Wahlkämpfers.

Die Frage nach Benzinpreis, Energiepolitik und eine Koalition mit den Grünen verfolgt Schröder während seines dreitägigen Besuches auf Schritt und Tritt. Und es macht ihm offensichtlich Spaß, auf die Konfusion in den grünen Reihen mit väterlichem Rat zu reagieren: „Jeder weiß, daß mit mir eine solche Politik nicht zu machen ist“, verkündet er mit unterstreichender Handbewegung. „Aber es ist gut, daß die Grünen jetzt ihre unsinnigen Beschlüsse von Magdeburg untereinander diskutieren. Und ich kann nur wünschen, daß dabei etwas Produktives herauskommt.“

Schröder trifft die gesamte israelische Führungsspitze von Präsident Ezer Weizmann über Oppositonsführer Barak bis zu Netanjahu. Ton und Nähe in den Gesprächen mögen variieren, aber Schröders Grundaussagen sind vorab festgelegt. Und davon weicht der Kandidat prinzipiell nicht ab. Und genau das gibt ihm die Sicherheit, den nahöstlichen Fettnäpfchen auszuweichen. „Man muß nicht auf alles eine Antwort haben“, lautet Schröders Standardsatz zu heiklen Themen wie der Zukunft Jerusalems.

Sein Besuch beim palästinensischen Präsidenten ist kurz. Schröder vermeidet erst gar nicht den Eindruck, daß dies mehr sei als die übliche nahöstliche Besuchsroutine. Mit Palästinensern in Jerusalem zu sprechen, wie dies der ebenfalls anwesende UN-Generalsekretär Kofi Annan tut, ist für Schröder kein Thema. Er weiß, daß er damit die Israelis verärgern würde. Und die falsche Munition für den bundesdeutschen Wahlkampf will Schröder in Israel auf keinen Fall liefern. Die Lobpreisungen Arafats für den „lieben deutschen Freund“ läßt er lächelnd über sich ergehen. Inhaltlich bleibt er beim Vorgegebenen. Eine politische Rolle in den Verhandlungen, die Arafat explizit fordert, könne Europa nicht spielen, meint Schröder.

Vor der Abreise gestern mittag bescheinigt er sich dann selbst „Zufriedenheit“ mit seinem Besuch. Der Versuch eines Understatements. Die Erwartung, daß andere ihm eine bessere Note erteilen, aber bleibt damit im Raume stehen.