Mit Kröver Nacktarsch in den Sky-Room

■ Fotos, Briefe, Wimpel und Zeitschriften: Kleinteilig nähert sich die Ausstellung „Remember me“im Schwulen Museum dem Thema Erinnerung. Theorie zum Thema fehlt dabei aber nicht

Ein Pappschild baumelt an der hellbraunen und arg mitgenommen aussehenden Perücke. „Meine Laufbahn als Patsy begann mit diesem Dutt“, ist handschriftlich darauf vermerkt. Zu dem Haarteil gesellen sich weitere Gegenstände, ebenfalls mit Pappschild und ein paar Zeilen versehen. Eine Flasche Weißwein, Marke Kröver Nacktarsch, die ihren früheren Besitzer an Charlotte von Mahlsdorf denken ließ, ein Reclamheft von E.T.A. Hoffmann, eine Schallplatte, eine rosafarbene Plastiktüte, beschriftet mit „Madonna Inn, San Luis Obispo, Cal 93401“, dazu auf dem Pappzettel: „Einmal im Leben mit Karli im Sky-Room eine Nacht“.

Tüte, Dutt und Weinflasche treffen am Souvenirstand der Ausstellung „Remember me“ im Schwulen Museum aufeinander. Jeder Besucher kann eigene Andenken mitbringen und sie gegen die bereits ausliegenden eintauschen. Die privaten Erinnerungen beginnen zu zirkulieren; Bedeutungsverschiebungen und -verluste sind einkalkuliert. Wer Patsy, wer Karli oder was ein Sky-Room ist, bleibt der Vorstellungskraft des Betrachters überlassen. Hat die einen trägen Tag erwischt, erscheint das Sammelsurium wie ein großer Haufen Tand.

„Remember me“, im Untertitel „Erinnerung an Menschen und ihr Leben“, widmet sich dem Modethema Gedächtnis und Gedenken aus einer schwulen Perspektive. Historisches Material, Fotoarbeiten und Installationen kreisen im wesentlichen um drei Aspekte: um homosexuelle KZ-Häftlinge, die nach 1945 vergeblich um Entschädigungen kämpften, um die Reutlinger Gruppe „die runde“, zu der sich schwule Männer in den 50er und 60er Jahren zusammenschlossen, und schließlich um die Frage, wie man das Andenken an die Aidstoten bewahren kann.

Theorie zum Thema darf nicht fehlen, und so bestellen Nietzsche und Foucault jeweils einen kurzen Gruß. Der erste will wissen, was denn vom Blick zurück zu halten sei angesichts der Erkenntnis, daß der Mensch nicht von den Göttern, sondern von den Affen abstammt. Der zweite fragt, wie es wohl sein wird, wenn der Mensch erst verschwunden ist, so „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ verschwindet.

Wo sie nicht um theoretische Veredelung bemüht sind, erweisen sich die Ausstellungsmacher Christoph Wachter, Karl Heinz Steinle und Andreas Sternweiler als geschickte Archäologen. Eine Menge verschütteten Materials haben sie ausgegraben: Briefe, Behördenpost, Fotografien, Wimpel und Zeitschriften illustrieren, was die Geschichtsschreibung bisher nicht berücksichtigt hat. Der Eindruck des Fragmentarischen bleibt dabei bestehen: „Remember me“ zielt nicht auf eine schwule Traditionslinie, nicht auf identitätsstiftende Zusammenhänge, sondern vertraut dem Kleinteiligen und Bruchstückhaften.

Dies gilt in besonderem Maß für eine Installation von Hunter Reynolds, die den Höhepunkt der Ausstellung bildet. Durch einen Zufall stieß der amerikanische Künstler auf den Nachlaß von Thomas Dresbach, der 1993 an den Folgen von Aids gestorben ist. Reynolds hat die Kisten mit persönlichen Gegenständen ausgepackt und den Inhalt aufgebaut. So erhält man Einblick in Dinge, die für andere Augen bestimmt waren, blättert durch Fotoalben, die eine unbekannte Familie zeigen und doch genauso aussehen wie die Alben, die die eigenen Eltern vor 25 Jahren anlegten, und vertieft sich in eine private Korrespondenz, die an einen Fremden adressiert ist. „Deine Briefe machen mich immer ein wenig hilflos“, schreibt ein gewisser Peter im Mai 1991. Er konnte nicht ahnen, wie recht er damit haben würde. Cristina Nord

„Remember me“. Bis 24.5. im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg. Mi.–So. 14–18 Uhr, Führungen Sa. 17 Uhr, Vorträge So. 18 Uhr