Israel sucht einen Ausweg aus dem Süden Libanons

■ Nach zwanzig Jahren Besatzung will die Regierung UN-Resolution 425 akzeptieren

Jerusalem (taz) – Zuerst erschien es als Ablenkungsmanöver vom Stillstand in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen. Verwundert rieben sich selbst israelische Politiker die Augen, als die Regierung zu Monatsbeginn ihre Bereitschaft erklärte, sich nicht nur aus der sogenannten Sicherheitszone im Südlibanon zurückzuziehen, sondern auch erstmals die UN-Resolution 425, die den bedingungslosen Rückzug aus dem Libanon fordert, als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren.

Die Resolution geht zurück auf die sogenannte Litani-Operation im März 1978, als Israels Armee in den Südlibanon eindrang, um die dortigen PLO-Basen zu vernichten. 20 Jahre lang hatte jede israelische Regierung diese Resolution als einseitig verurteilt und ignoriert. Der Abgeordnete der Arbeitspartei, Jossi Beilin, einer der entschiedensten Befürworter eines Rückzugs, sah den Sinneswandel der Regierung denn auch skeptisch und vermutete dahinter eine PR- Aktion. „Was unterscheidet diesen Monat von den vorhergehenden, und warum reisen Netanjahus Emissäre plötzlich um die Welt?“ fragte Beilin.

Doch der Absturz eines Militärhubschraubers, der 78 Soldatenleben forderte, und der relativ hohe Blutzoll von 39 gefallenen Soldaten im vergangenen Jahr haben den Druck auf Israels Regierung erheblich verstärkt. Inzwischen hat die Rückzugsdebatte Eigendynamik entwickelt. Selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan wurde auf seiner gestern beendeten Nahostreise fast ungewollt zum Briefträger von Botschaften zwischen Beirut, Damaskus und Jerusalem.

Am kommenden Mittwoch will Israels Regierung die UN-Resolution 425 formell anerkennen, um damit ihre Verhandlungsabsichten zu unterstreichen. Zwei Pläne liegen bislang vor. Verteidigungsminister Mordechai schlägt einen Rückzug vor, der gekoppelt ist an libanesische und möglicherweise ausländische Sicherheitsgarantien für Israels Nordgrenze. Israels Söldnertruppe, die Südlibanesische Armee, soll in die libanesische Armee integriert werden, um mit ihr zusammen ein Eindringen der schiitischen Hisbullah-Miliz in die geräumten Gebiete zu verhindern. Netanjahu und die Mehrheit im Kabinett favorisieren diesen Plan. Infrastrukturminister Scharon, Architekt der Libanon-Invasion von 1982, befürwortet dagegen einen stufenweisen Rückzug ohne Garantien und ohne Verhandlungen. Israel solle abwarten, ob es in den geräumten Gebieten zu Kampfhandlungen kommt, und davon den weiteren Rückzug abhängig machen. In beiden Fällen wird ein Friedensvertrag mit Libanon oder gar der Abzug der 35.000 syrischen Truppen im Libanon nicht mehr zur Bedingung gemacht.

Scharons Vorschlag hat für Israel den Vorteil, daß Verhandlungen mit Syrien und damit mögliche Konzessionen über einen Rückzug vom israelisch besetzten Golan nicht erforderlich sind. Bei einer Befriedung des Südlibanons verlöre Syrien, das wie der Iran die Hisbullah unterstützt, das letzte militärische Druckmittel gegen Israel. Syriens Präsident Hafis al-Assad bestellte auch prompt die libanesische Führung nach Damaskus. Anschließend erklärten beide Parteien, wenn Israel sich sofort und bedingungslos aus dem Südlibanon und vom Golan zurückziehe, könne innerhalb von drei Monaten sogar ein Friedensvertrag unterzeichnet werden. Doch hinter den Kulissen gehen die Verhandlungen unter Einbezug der französischen Regierung weiter.

Hisbullah-Führer Hassan Nasrallah erklärte vergangene Woche erstmals, seine Organisation habe nicht die Absicht, die von Israel geräumten Gebiete zu übernehmen. Befürchtungen, wonach die Hisbullah vom Grenzgebiet aus israelische Städte und Dörfer beschießen würde, hatte die Schiitenmiliz schon früher ausgeschlossen. Ohne Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Rückgabe des Golan aber werden weder Syrien noch Libanon dem israelischen Bedürfnis nach Sicherheitsgarantien entsprechen. Netanjahu ließ in dieser Woche dementieren, daß Israels Regierung die Golan-Verhandlungen mit Syrien dort wieder aufnehmen wolle, wo die Regierung Rabin sie beendet habe. Rabin hatte Syrien in einem nicht unterzeichneten Abkommen die vollständige Rückgabe des Golan im Tausch gegen einen Friedensvertrag angeboten. „Wir stehen erst am Anfang eines Prozesses“, sagt der Libanon-Berater der israelischen Regierung, Uri Lubrani, „das kann noch dauern.“ Georg Baltissen