„Korpsgeist, Kameradschaft, Können“

In der Luftlandeschule Altenstadt sollen Neonazis sich unbeschwert ausgelebt haben. Vor dem Untersuchungsausschuß reagieren ihre Vorgesetzten nervös. Die zentrale Frage bleibt: Wo endet die Kameradschaft unter Soldaten?  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Mindestens einer der der Zeugen vor dem Bundeswehr-Untersuchungsausschuß lügt. Aber welcher? Von Hitler-Bildern, Hakenkreuzen und der Reichskriegsflagge in den Stuben von Unteroffizieren berichtet der ehemalige Stabsunteroffizier Peter Guckenburg dem Ausschuß.

Es sei für ihn eine „zwingende Annahme“, daß der Kompaniefeldwebel und auch der Kompaniechef von diesen Dingen gewußt haben. Der Feldwebel habe beim morgendlichen Antreten Überprüfungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) angekündigt und gesagt, „alles Entsprechende“ sei aus den Stuben zu entfernen. Stimmt nicht, bestreiten Stabsfeldwebel Werner Weimaier und der ehemalige Kompaniechef Major Thomas Schmidt. Nichts haben sie gesehen, nichts gewußt und auch niemals Besuche des MAD angekündigt. Ohnehin kontrolliere der MAD keine Stuben.

Wem sollen die Abgeordneten glauben, die die Ereignisse in der Fallschirmjägerkompanie 909 an der Luftlandeschule im bayerischen Altenstadt untersuchen? Fest steht, daß es dort überzeugte Neonazis gegeben hat. Dieses Mal kann vom Mißverständnissen keine Rede sein. Ende letzten Jahres hatte der Stern Fotos von Unteroffizieren mit Nazi-Symbolen und der Reichskriegsflagge veröffentlicht und über ein Trinkgelage von 1993 berichtet, bei dem rechtsradikale Parolen gegrölt worden waren.

Peter Guckenburg erzählt, daß sich Nazi-Embleme über Jahre hinweg auf Stuben befunden hätten. Er habe das auch dem Zugführer gemeldet. Geändert habe sich nichts. Im kahlen Bonner Sitzungsraum versuchen sich Menschen miteinander zu verständigen, die in verschiedenen Welten leben. Immer wieder wollen die Abgeordneten wissen, warum Guckenburg sich nicht direkt an den Kompaniechef gewandt habe. Immer wieder bemüht sich der Zeuge um eine Erklärung: Man wolle doch erreichen, daß der Kamerad „einsichtiger“ werde. Das erreiche man nicht durch Drohungen. „Bin ich in der Position, daß ich sage: So, du packst das jetzt weg, böser Bube, sonst melde ich dich?“ Und: „Man versucht doch, im Sinne der Kameradschaft zu handeln und nicht, ihn anzuschwärzen.“

Wo endet Kameradschaft? Wieder einmal ist das eine der Schlüsselfragen im Untersuchungsausschuß. Am ehesten faßbar wird das Klima in der Kompanie immer dann, wenn es gar nicht um Rechtsextremismus, sondern um andere Probleme wie Alkoholexzesse und Schlägereien geht. Da antworten die Zeugen unbefangener. Nein, er habe nichts davon gehört, daß ein Unteroffizier mal bei einem Angriff mit einer Bratpfanne verletzt worden sei, sagt der ehemalige Kompaniechef Thomas Schmidt. „Möglicherweise hat die Bande wieder zusammengehalten.“ Das klingt liebevoll.

Je niedriger der Dienstgrad, desto näher ist der Chef seinen Untergebenen – und um so schwieriger wird die Gratwanderung zwischen Verständnis und Härte. Einmal ist bei einem Besäufnis ein Spind durchs Fenster geworfen worden. „Das kann doch einmal passieren. Das ist doch nicht so schlimm“, meint Stabsfeldwebel Weimaier. Bezahlt werden müsse der Schaden halt. Da zeigt sich Major Schmidt forscher, dem „ein solcher Fall nicht genau bekannt“ ist: „Es hätte ganz fürchterlich ein paar zwischen die Hörner gegeben.“ Er schließt auch eine „disziplinare Prüfung“ nicht aus.

Höhere Offiziere kommen am besten aus mißlichen Situationen heraus, wenn sie unnachgiebige Härte demonstrieren. Der ehemalige Kommandeur Oberst Ulrich Quante hat sich nach dem Stern- Bericht gefragt, warum ihm niemals rechtsextremistische Vorfälle gemeldet wurden. „Warum sind die Jungs nicht gekommen?“ Im nächsten Atemzug erklärt er selbstbewußt, überall, wo „diese Sachen“ hochgekommen seien, sei „gnadenlos durchgegriffen“ worden, straf- und disziplinarrechtlich. Solche Töne sind auch von Verteidigungsminister Volker Rühe immer wieder zu hören. Ob er sich vorstellen könne, wie's jemandem ergehe, der Vorkommnisse dem Kompaniechef melde, wird Peter Guckenburg gefragt. „Sie wären sehr geschnitten worden, auch in Ihrem weiteren dienstlichen Leben.“

Der ehemalige Unteroffizier hat die Bundeswehr verlassen. Er arbeitet heute als Klimatechniker an einem Münchner Theater. Aussagen können seiner Karriere nicht mehr schaden. Feldwebel Werner Weimaier dagegen scheint zu wissen, daß sein Auftritt vor dem Ausschuß großen Einfluß auf seinen künftigen Lebensweg haben kann. Er knetet seine Hände, ein leichtes Zittern in der Stimme kann er nicht unterdrücken.

Guckenburg meint, höchstens vier Mann hätten den „harten Kern“ der Neonazis gebildet. „Der Rest ist die übliche Mitläuferei.“ Wer so wie er die Stubenfeste nicht mitmachte, wurde „ein bißchen geschnitten, geärgert auch mal“. Es habe irgendwie zwei Gruppen bei den Unteroffizieren gegeben.

„Es gab keine Ausgrenzung“, versichert dagegen Feldwebel Weimaier. Informelle Führer habe es „mit Sicherheit“ gegeben. Wer waren die? „Kann ich Ihnen nicht sagen.“ Weimaiers einzige Chance liegt darin, den Ausschuß von seiner völligen Ahnungslosigkeit zu überzeugen. Er betont, daß er außerhalb der Kaserne wohnt und nachmittags stets pünktlich nach Hause fährt. Was nach Dienstschluß geschah, will er nicht mitbekommen haben. Die Stuben kontrollierte er in unregelmäßigem Abstand, um „die Sauberkeit zu überprüfen“. Niemals bemerkte er dabei Nazi-Embleme. Dagegen Guckenburg: „Wenn die Reichskriegsflagge direkt überm Tisch hängt, dann seh' ich sie.“

Später räumt der 29jährige ein, daß die Flagge meist im Spind verschlossen war. Sein Verhältnis zum Feldwebel war nicht frei von Spannungen. Ist auszuschließen, daß auch persönliche Ressentiments seine Aussage beeinflussen? Der Ausschuß kann da nur raten. Bislang ist kein einziger bekennender Neonazi als Zeuge gehört worden. Die Parlamentarier sind auf Erkenntnisse aus zweiter Hand angewiesen.

Deutlich wird immerhin, daß es an der Luftlandeschule so manches gab, wodurch sich Soldaten mit rechtsgerichteten Neigungen bestärkt fühlen konnten. Militärischer Leistungen von Fallschirmjägern der Wehrmacht wurde mit dienstlichen Veranstaltungen und der Benennung von Straßen gedacht. Die politische Bildung hatte dagegen einen eher niedrigen Stellenwert. „Korpsgeist, Kameradschaft und Können“ beschreibe den Geist der Fallschirmjägerschaft, meint der ehemalige Kommandeur Oberst Quante. Wer sich einer so gefährlichen Aufgabe stelle, gehöre schon zur Elite.