„Die Rechte muß sich zusammenraffen“

■ Der Politologe Alfred Grosser, Wegbereiter der deutsch-französischen Beziehungen, über die Zukunft der französischen bürgerlichen Rechten nach dem Zerfall der Parteienkoalition UDF

taz: Was ist nach dem Zerfall der konservativen UDF von der französischen Rechten eigentlich noch übrig?

Alfred Grosser: Sie hat noch ein enormes Wählerpotential, aber sie krankt an ihrer Zerstückelung. Man sollte nicht vergessen, daß die UDF zu einer Zeit entstanden ist, als es normal war, daß der Präsident seine Partei hatte. Giscard d'Estaing hatte keine. Er versuchte etwas zu schaffen, und das wurde die UDF, aber es war nur ein Sammelsurium. Das platzt jetzt auseinander.

Auch Neogaullisten sind in der Frage der Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Front National in den letzten Tagen umgefallen. Läuft das auf eine neue große rechte Partei unter Einschluß der Front National hinaus?

Das ist total ausgeschlossen. Auch wenn hier heute eigentlich gar nichts mehr unmöglich erscheint. Die Rechte muß sich zusammenraffen. Neu aufarbeiten, damit sie gegenüber Le Pen in die Lage kommt, in der Mitterrand gegenüber den Kommunisten war.

Wollen Sie die KPF von 1981 mit der Front National von 1998 vergleichen?

Das hat nichts miteinander zu tun. Auch nicht mit Stalin oder Hitler. Es ist eine ganz nüchterne Tatsache, daß Mitterrand angekündigt hat: Ich nehm' die in die Regierung auf, um sie zu unterdrücken. Das ist ihm gelungen: Heute ist der Kleine die KPF und der Große die PS.

Was geschähe, wenn heute RPR, UDF mit der Front National zusammengingen?

Dann würde alles in der Mitte und rechts auseinandersplittern. Und wer übrigbliebe und akzeptierte, mit der Front National zu arbeiten, wäre ungefähr in der Lage der Hugenberg-Partei gegenüber der NSDAP.

Die deutschen Konservativen standen bislang vor allem mit der UDF in Kontakt. Mit wem können sie auf der französischen Rechten überhaupt noch reden?

Mit dem Präsidenten, das geht noch. Sonst ist eigentlich als Parteiorganisation nur noch wenig vorhanden. Charles Millon (der mit den Stimmen der Front National zum Regionalpräsidenten gewählte UDF-Politiker, d. Red.) vertritt ja etwas, das früher der CDU entsprach. Er kommt aus einer Mitte, die seit 1973 zusammen mit der Rechten stimmt. Angesichts unseres Mehrheitswahlsystems mußten die sich entscheiden. Aber sie waren immer offen für eine potentielle Koalition mit der gemäßigten Linken. Daß ein Teil von denen nun zwischen den Gaullisten und der Front National steht, ist ein ganz erstaunlicher Wandel.

Wie erklären Sie den Wechsel?

Die Lust an der regionalen Macht.

In Deutschland wählen nicht einmal fünf Prozent der Leute rechtsextrem, in Frankreich über 15 Prozent. Wie kommt das?

Sie haben das unwahrscheinliche Glück, Hitler in der Vergangenheit zu haben. Haider in Österreich und Le Pen in Frankreich sind möglich, weil dort kein Hitler im Bewußtsein ist.

Und heißt das, daß die Deutschen tatsächlich weniger rechtsextrem denken?

Die CDU hat von Anfang an unter Adenauer gesagt: Wir absorbieren die kleinen Nazis und machen aus ihnen Demokraten. Und das haben sie getan. Jedes Mal, wenn die Rechtsextremen stark wurden, zum Beispiel 67 und 69, als die NPD groß wurde, haben sie gesagt: Kommt nicht mit uns in Frage.

Kann man auch in Frankreich aus Rechtsextremen zivilisierte Rechte machen?

Ein guter Teil der Wählerschaft und auch der lokal Militanten ist zivilisiert. Aber die Spitze nicht. Wenn man die Partei für „zivilisiert“ erklärt, was ja Bruno Mégret will, der der eigentlich Gefährliche in der Front National ist, dann vergißt man völlig, daß die eine andere Sprache sprechen. Um die Wählerschaft der Front National wiederzugewinnen, müßte es weniger Skandale geben. Migration ist schließlich nur eines der beiden Themen der Rechtsextremen – das andere ist Korruption.

Warum können sich französische Politiker nicht gegenüber der Front National durchsetzen?

Wenn ein Politiker mit Le Pen oder Mégret diskutiert, sagt er andauernd, ihr seid böse Nazis und Faschisten. Das ist dumm! Er müßte fragen: Was würdet ihr eigentlich tun, wenn ihr die Macht hättet? Darauf haben die nicht den geringsten Vorschlag.

Wer sind die Gewinner aus dem aktuellen Durcheinander?

Gewinner gibt es nicht. Außer der Front National. Die Linke gewinnt nur scheinbar. Tatsächlich bleibt sie in doppelter Hinsicht in der Minderheit. Erstens mathematisch und zweitens, weil sie es jetzt mit einer Front auf ihrer Linken zu tun hat. Sie kann nicht mehr alles nach der Mitte hin tun, weil sie sonst weitere Stimmen an eine extreme Linke verliert, die sich weitgehend aus Enttäuschten aus der KPF zusammensetzt.

Herr Grosser, haben Sie Angst?

Nein. (lacht) Das ist unerfreulich, aber das hat man schon oft erlebt. Ich bin sehr gelassen. Interview: Dorothea Hahn