Jobs und Lebenssinn zum Selberbasteln

Mit seinem Konzept der „Bürgerarbeit“ hat der Münchner Soziologe Ulrich Beck zumindest eines erreicht: Es wird wieder über das Ehrenamt und den gemeinnützigen Sektor diskutiert. Können Wohlfahrtsverbände und Umweltorganisationen dort Arbeit und soziale Anerkennung schaffen, wo Markt und Staat versagen? Die Realität beweist: den „dritten Sektor“ gibt es längst. Ein Markt von erstaunlicher Vielfalt. Aber auch voller Fallen  ■ Von Andrea Böhm und Barbara Dribbusch

Die Idee kommt – wie sollte es anders sein – aus den USA: Für 3.000 Dollar lernen dort TopmanagerInnen in Wochenseminaren die Kunst der Trauerarbeit nach Massenentlassungen und den Umgang mit den verbliebenen Angestellten. Die nämlich zeigen sich verängstigt, apathisch und von Schuldgefühlen geplagt, und verhindern damit die ersehnte Steigerung der Produktivität. Also dürfen sie nun in Gruppentherapie mit ihren Bossen unterdrückte Angst- und Wutgefühle offenlegen. In einer Firma schlossen die MitarbeiterInnen ihren „Heilungsprozeß“ mit einer Trauerfeier für die gute alte Zeit und die geschaßten KollegInnen ab. Kerzen, Musik und eine Ansprache, ein paar Tränen zerdrückt – und wieder in die Hände gespuckt.

Man stelle sich das in Deutschland vor: Zwischen Flensburg und Freiburg, Zwiesel und Zittau verabschieden sich die BürgerInnen mit Trauerflor und Blumenkranz von der Zeit der Vollbeschäftigung. Denn deren Ende steht fest – so weit reicht der Minimalkonsens der ExpertInnen. Eine boomende Exportwirtschaft ist heutzutage ebensowenig mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze verknüpft wie ein glänzender Aktienkurs der Unternehmen an der Börse; die Rationalisierungswelle ist im industriellen Sektor noch nicht abgeschlossen und fängt im Dienstleistungsbereich gerade erst an. „Das Industriezeitalter bedeutete Arbeit für die Massen, das Informationszeitalter bedeutet Arbeit für eine kleine Elite“, sagt der amerikanische Wissenschaftsjournalist Jeremy Rifkin in seinem Buch „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“. Die große Frage lautet: Was kommt jetzt?

Immer neue Schlagworte purzeln auf den Ideenmarkt: Ob „Bürgerarbeit“, „Dritter Sektor“ oder „Drei-Schichten- System“. Mit „Bürgerarbeit“ will der Münchener Soziologe Ulrich Beck freiwilliges soziales Engagement durch sogenannte GemeinwohlunternehmerInnen organisieren lassen, die sich an der Nachfrage der Kommunen nach bestimmten sozialen Leistungen wie Altenpflege, Flüchtlingsbetreuung oder Kulturveranstaltungen orientieren. Als Gegenleistung können alle, die darauf angewiesen sind, ein existenzsicherndes Bürgergeld in Höhe des Sozialhilfesatzes in Anspruch nehmen.

Unter „Dritter Sektor“ versteht Jeremy Rifkin sämtliche Einrichtungen, die weder staatlich noch privatwirtschaftlich organisiert sind. Kirchen, Umweltschutzgruppen, Sportvereine, soziale und kulturelle Projekte – sie alle könnten nach Rifkins Überzeugung mit Hilfe einer Steuer auf High-Tech-Produkte Arbeitsplätze auf dem lokalen und kommunalen Sektor schaffen. Das „Drei-Schichten-System“ stellten unlängst im Auftrag des Club of Rome der ehemalige Marketing Manager Orio Giarini und der Wirtschaftsberater Patrick Liedtke vor: Die erste Schicht – 20-Stunden-Jobs im sozialen Bereich, die auch zwangsweise zugeteilt werden – garantiert allen ein Mindesteinkommen. Die zweite Schicht, womit ein massiv deregulierter „erster Arbeitsmarkt“ gemeint ist, soll Mehreinkommen sowie Zugang zu Betriebsrenten und privater Kapitalbildung ermöglichen. Die dritte Schicht – Familienarbeit und ehrenamtliche Tätigkeit – soll durch soziale Anerkennung wieder aufgewertet werden.

All diesen Szenarien ist eines gemeinsam: Sie bauen darauf, daß sich Dienstleistungen mit einem neuen oder revitalisierten Sinn für das Gemeinwohl und dem Bedarf nach gesellschaftlich anerkannter Arbeit kombinieren lassen. Das klingt attraktiv in Zeiten, in denen den sozialpolitischen Handlungsspielräumen des Staates immer engere Grenzen gesetzt werden, während das Kapital keine mehr kennt; in Zeiten, in denen vielen das demokratische System nicht mehr besonders schützenswert erscheint. „Die Demokratie ist als Arbeitsdemokratie begründet worden“, sagt Beck, „und beruht auf der Beteiligung an Erwerbsarbeit.“ Jetzt brauche man eine Vision für eine Epoche, die Arbeit jenseits von Markt und Staat entwickele.

Arbeitsbeschaffung als gemeinnützige Aufgabe

Wie so häufig ist die gesellschaftliche Realität den theoretischen Entwürfen um einiges voraus. „Bürgerarbeit“ muß nicht neu erfunden werden. Ehrenamtlich engagiert sich heute jeder dritte Erwachsene – in Sportvereinen, in der Altenhilfe, im Umweltschutz und in der Weiterbildung, jeder vierte davon allwöchentlich oder öfter. Das sporadische Engagement für kurzfristige Kampagnen oder einmalige Anlässe hat entgegen aller Klagen über Egoismus und Apathie in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen. Ohne Ehrenamtliche keine Aidshilfe, keine Suppenküchen für Arme, keine Kulturveranstaltungen im Kiez.

Hinzu kommen Hunderttausende von SozialhilfeempfängerInnen, die gemeinnützige Arbeit leisten. Ein Teil von ihnen hat mit den Kommunen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, viele aber bekommen nur eine sogenannte Mehraufwandsentschädigung von zwei bis drei Mark in der Stunde, die zur „Stütze“ dazukommt. Mehr als 100.000 HilfsgärtnerInnen, BauhelferInnen oder PädagogInnen stecken zudem in klassischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Noch einmal soviel Menschen arbeiten in „Strukturanpassungsmaßnahmen“: Hier bekommen Wirtschaftsunternehmen für die Beschäftigung Arbeitsloser hohe Lohnkostenzuschüsse. In Ostdeutschland und West-Berlin kassieren neuerdings sogar gewerbliche Betriebe, gleich welcher Branche, ein Jahr lang Zuschüsse von monatlich rund 2.000 Mark allein dafür, daß sie einen Erwerbslosen einstellen. Das ist der Wandel des „Dritten Sektors“ in der Job-Mangel-Gesellschaft: Entscheidend ist nicht mehr so sehr die Bewältigung einer bestimmten sozialen Aufgabe wie Altenbetreuung, Jugendhilfe oder Umweltsanierung. Die Beschäftigung von Arbeitslosen ist die soziale Aufgabe schlechthin.

Kurzum: In Deutschland gibt es längst einen riesigen gemeinnützigen Sektor, an dem man heute die Probleme einer Vielzahl von Beschäftigungsformen studieren kann, die sich den Gesetzmäßigkeiten des „ersten Arbeitsmarktes“ entziehen. Gewachsen ist dieser Sektor nicht nur, weil angesichts der Massenarbeitslosigkeit wenigstens einige der Betroffenen durch kurzfristige Programme in Lohn und Brot gehalten werden müssen. Gewachsen ist er auch, weil öffentliche Aufgaben vom Staat zunehmend ausgelagert oder vernachläßigt werden; und weil aus sozialen Protestbewegungen Nischen und Branchen für neue Tätigkeiten gewachsen sind. Aus der Bewegung der HausbesetzerInnen zum Beispiel entstanden Sanierungsprojekte und Stadtteilläden, die „Bürgerarbeit“ im Beckschen Sinne leisteten. Allerdings bedurfte es einiger zerbrochener Fensterscheiben und lautstarker Demonstrationen, bis auch wirklich alle in Kommune und Kiez erkannt hatten, daß der Wohnungsnotstand dem Gemeinwohl schadete und ein wenig „Bürgerarbeit“ erforderte. Gleiches gilt für die Frauenbewegung: Auch hier mußte erst politisch gekämpft werden, bevor Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder an den Universitäten überhaupt als Probleme wahrgenommen wurden. Bürgerinnenarbeit leisten heute Frauenhäuser, Mädchenprojekte, Frauenbildungsstätten – getragen von der typischen, wackeligen S-Kombination: Staatsknete und Spenden, Selbstausbeutung und Sinnstiftung.

Was die Becks und Rifkins für die Zukunft der Arbeit vorschlagen, paßt jedoch keineswegs auf alle, die Arbeit brauchen – am allerwenigsten auf jene, die schon lange keine mehr haben. Soziales Engagement gewinnt in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit enorme psychologische und politische Bedeutung, weil es Menschen ohne Erwerbstätigkeit ein Netz von Kontakten und die Möglichkeit zur Partizipation am politischen Leben bereit hält. Doch nach den Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) sind Arbeitslose in kirchlichen Organisationen, Bürgerinitiativen und Kulturvereinen unterrepräsentiert. Das gilt ganz besonders für Leute mit geringer Qualifikation und schwacher sozialer Kompetenz. „Ehrenamtliche Arbeit ist nicht substitutiv, sondern eher komplementär zu einer Erwerbstätigkeit“, sagt Johannes Schwarze, Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Unter den sozial Engagierten finden sich vor allem Erwerbstätige, RentnerInnen, Menschen mit Familie und guter Ausbildung, die das nötige „soziale Kapital“ mitbringen: Netzwerke und Kommunikationsfähigkeiten.

Der unwiderstehliche Charme des Zwangs

Unter den Erwerbslosen – so ergaben die SOEP-Daten – nutzen vor allem AkademikerInnen die Chance, die Zeit ohne Job mit unbezahlten Tätigkeiten zu überbrücken. Die Idee, Arbeitslose stärker in den ehrenamtlichen gemeinnützigen Sektor zu integrieren, geht daher an der gesellschaftlichen Realität vorbei – zumal es ihnen auch das Arbeitsamt schwermacht: EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld oder -hilfe dürfen laut Gesetz durch unbezahlte Tätigkeit nicht so gebunden sein, daß sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.

Giarini und Liedtke lösen dieses Problem in ihrem „Drei-Schichten- Modell“ dadurch, daß Arbeitslosen- und SozialhilfeempfängerInnen im sozialen Bereich arbeiten müssen. Der Ruf nach Zwang zum gemeinnützigen Werk erfreut sich auf politischer Ebene wachsender Beliebtheit. In Deutschland fordern eine Arbeitspflicht für LeistungsempfängerInnen Sozialpolitiker wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Ulf Fink. In Großbritannien hat sie Tony Blair für arbeitslose Jugendliche angekündigt. Und in den USA wird die Pflicht zur Arbeit seit der umstrittenen „Reform“ des Sozialhilfewesens praktiziert.

Der Gedanke ist ebenso einfach wie populistisch: Warum nicht die ohnehin gezahlten Transfergelder dazu benutzen, Arbeit statt vermeintliches Nichtstun zu bezahlen? Das Problem der Finanzierbarkeit von vielen gemeinnützigen Tätigkeit wäre gelöst, die Mehrkosten dieser Pflichtarbeit angesichts der Niedrigstlöhne gering.

Doch sowohl Beck als auch Rifkin distanzieren sich mit ihren Konzepten der „Bürgerarbeit“ und des „Dritten Sektors“ ausdrücklich von Arbeitspflichtprogrammen. Die Vision von partizipierenden BürgerInnen, die auch ohne Erwerbstätigkeit im öffentlichen Leben weiterarbeiten, läßt sich mit Zwangsmaßnahmen schlecht vereinbaren – es sei denn, man akzeptiert eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aus BürgerInnen der Mittelschicht, die sich freiwillig engagieren, und aus LeistungsempfängerInnen mit niedrigem Ausbildungsstand, die zum Laubfegen abkommandiert werden. Wobei die bisherigen Erfahrungen schon genügend Probleme mit der Arbeitspflicht aufzeigen: In Leipzig, Lübeck, Osnabrück und demnächst auch Frankfurt am Main müssen erwerbsfähige SozialhilfeempfängerInnen eine „gemeinnützige“ Arbeit annehmen. Ein Fünftel bis ein Drittel erscheint nicht zur „Zwangsarbeit“ und nimmt lieber die Kürzung der Sozialhilfe in Kauf. Viele fühlen sich durch solche „Stiefeljobs“ abgewertet. Zudem klagt das Handwerk über die unliebsame Billigkonkurrenz, und die Arbeitsämter sehen in diesen kommunalen Beschäftigungsprogrammen einen „Verschiebebahnhof“. Denn nach einem Jahr „gemeinnütziger“ und sozialversicherungspflichtiger Plackerei haben die Betroffenen Anspruch auf Arbeitslosengeld – und tauchen als LeistungsempfängerInnen bei den Arbeitsämtern auf.

Zwang oder Freiwilligkeit: das macht den großen Unterschied. Dort, wo sich SozialhilfeempfängerInnen die Billigjobs bei gemeinnützigen Vereinen und Institutionen selbst suchen können, sind diese trotz Niedrigstlohn von zwei bis drei Mark pro Stunde begehrt. In Berlin etwa arbeiten sie als BotInnen im Kulturverein, als HausmeisterInnen in Schulen, PförtnerInnen in Jugendzentren, bei der Ausländerbeauftragten oder beim Verband alleinerziehender Mütter. Hier können sich auch Leute mit Alkohol- oder psychischen Problemen Arbeitsprofile zurechtbasteln, die sie nicht überfordern. Diese Menschen in subventionierten Jobs in Privatfirmen unterzubringen, berichtet die bündnisgrüne Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer aus dem Berliner Stadtteil Wilmersdorf, sei viel schwerer. „Dort ist das Milieu viel härter.“

Nicht nur im Fall der SozialhilfeempfängerInnen, die zusätzlich zur „Stütze“ für drei Mark in der Stunde öffentliche Parks instand halten und damit jede private Gartenbaufirma unterbieten, taucht eines der zentralen Probleme des gemeinnützigen Sektors auf: Wann und wo beginnt die unlautere Konkurrenz zur Privatwirtschaft? Anders gefragt: Wann und wo verhindert der gemeinnützige Sektor als Betätigungsfeld für Erwerbslose die Schaffung neuer Erwerbsarbeitsplätze im Dienstleistungsbereich?

Dienstleistung für Profit oder für das Gemeinwohl?

Die Gartenbaubranche im Osten jammerte jahrelang über die Konkurrenz durch ABM-Kräfte, die sich inzwischen mit 80 Prozent des Tariflohns zufrieden geben müssen. Dem Zentralverband des deutschen Handwerks ist der ABM-Bereich ebenfalls ein Dorn im Auge. Der öffentliche Dienst konnte viele Stellen nur deshalb abbauen, weil billigere ABM- Kräfte eingesetzt werden konnten. Bereiche wie Alten-und Krankenpflege, die Ulrich Beck in seinem Konzept der Eigeninitiative von BürgerInnen überlassen möchte, bilden Märkte für kleine professionelle ambulante Dienste, aber auch für große neue Dienstleistungsfirmen, die mit der Betreuung von SeniorInnen oder chronisch Kranken Einkommen und Profit erwirtschaften wollen und müssen.

Andererseits hat die Privatwirtschaft bislang wenig Bereitschaft gezeigt, den „ersten Arbeitsmarkt“ wieder für jene zu öffnen, die in Beschäftigungsmaßnahmen einen letzten Halt finden. Noch vor ein paar Jahren pflegten vor allem in den neuen Bundesländern Hunderttausende von ABMlern Kranke, betreuten Jugendliche, sanierten Stadtteile und Grünanlagen. Heute stecken noch 130.000 Menschen in ABM-Maßnahmen. Auf Druck der Privatwirtschaft war eine „Vergabe“- Regelung entstanden, um die lästige Konkurrenz zu unterbinden: Danach sollten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zuförderst an Privatunternehmen vergeben werden. Falls sie doch bei gemeinnützigen ABM-Trägern landeten, mußten die zuständigen regionalen Branchenverbände ihr Okay signalisieren. Die Folge: Die Privatwirtschaft zeigte wenig Interesse an den Arbeitslosen, die Anträge schmorten bei den Branchenverbänden. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm mußte die Vergabe-Regelung wieder lockern. Auch deshalb wird es demnächst wieder mehr ABM-Stellen geben. Fazit: Die Förderung von Arbeitslosen kann nicht mal eben per Subvention in die Privatwirtschaft verlegt werden. Denn die will mit Arbeitslosen herzlich wenig zu tun haben.

„Leih-Omas“ gegen Stundenhonorar, Krankenpflege, Jugendberatung – all diese typisch gemeinnützigen Tätigkeiten haben eines gemeinsam: Sie sind „typisch weiblich“. Spätestens hier wird also klar: In der Diskussion über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft geht es ganz entscheidend um eine Neubewertung der Arbeit von Frauen. Sich um Kinder, Alte und Kranke zu kümmern verschwand dereinst, weil nicht bezahlt, aus der Definition von Arbeit. Dann wanderten diese Tätigkeiten zunehmend aus der Privat- in die Erwerbssphäre. Nun debattiert man angesichts der Ebbe in den Staatskassen die Verlagerung in einen gemeinnützigen Sektor, in dem sich zumindest nach den Vorstellungen eines Ulrich Beck die materiellen Anreize auf ein existenzsicherndes Minimalgehalt reduzieren sollen. Kein Wunder, daß Frauen mißtrauisch reagieren, wenn auf der einen Seite die „Entfesselung“ des Dienstleistungssektors durch Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes und auf der anderen Seite der Dienst am nächsten und der Gemeinschaft für wenig Geld und viel Anerkennung propagiert wird.

Kein alleinzuständiger Garant für Gemeinschaftsgefühle

Dabei sehen die beiden Soziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel den verspäteten Aufbruch der Bundesrepublik in die Dienstleistungsgesellschaft durchaus als Chance, die Fehler anderer Länder zu vermeiden: Also weder wie die USA eine „Dienstbotengesellschaft“ noch wie Schweden eine Dienstleistungsbürokratie zu schaffen. Nötig wäre ein „sehr weiter Sprung in eine andere Moderne (...) jenseits der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der beruflichen Karriereorientierung und des Konkurrenzsystems“. Kurz gesagt: In eine andere Kultur.

Diese andere Kultur findet man schon heute – ganz unspektakulär und keineswegs immer auf Freiwilligkeit basierend – im gemeinnützigen Sektor. Wer heute eine Suppenküche für Arme oder das Kulturzentrum einer Gemeinde besucht, trifft die typische „gemeinnützige“ Mischung: Alle machen das gleiche, die einen für mehr, die anderen für weniger oder gar kein Geld. Ehrenamtliche Hausfrauen und Frührentner, untertariflich bezahlte ABMler, gemeinnützig beschäftigte SozialhilfeempfängerInnen, hauptamtliche „StreetworkerInnen“ oder Bürokräfte.

Dieser Sektor hat vor allem dann eine Zukunftsperspektive, wenn er nicht aus dem Bereich der Erwerbsarbeit herauskatapultiert und zum allein zuständigen Produzenten von Gemeinschaftsgefühl gemacht wird. In diesem gemeinnützigen Sektor muß es den ordentlich bezahlten Full-time-Job ebenso geben wie Teilzeitstellen. Wer sonst keine Chance hat, sollte wenigstens die Aussicht auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder anderweitig subventionierte Stelle haben. Wer sich nur einfache Arbeit für wenige Stunden am Tag zutraut, muß sich den Mini-Job zusätzlich zur Sozialhilfe selbst suchen dürfen. Und wer sich in den Nischen der Bürokratie „ehrenamtliche Arbeit“ selbst beschafft, kann auch eine steuerfreie „Aufwandsentschädigung“ erwarten.

Die Chancen eines „dritten Sektors“ zwischen Markt und Staat liegen in seiner Vielfalt und in seiner Unschärfe. Diese Vielfalt muß erhalten und erweitert, nicht beschnitten werden. Neue Konzepte wie das von Beck können nur ergänzen. Wird der gemeinnützige Sektor aber als Mittel der Befriedung und Disziplinierung von Arbeitslosen und als billiger Lückenbüßer für staatliche Aufgaben genutzt, kann er nicht mehr das leisten, was man sich am meisten erhoffen darf: mehr gesellschaftliche Wertschätzung für Arbeit, die kein festes Einkommen einbringt; mehr politische und soziale Teilnahme von BürgerInnen mit und ohne Erwerbsarbeit. Die Stabilität von Markt und Staat wird davon zunehmend abhängen, deshalb täten beide Sektoren gut daran, den „dritten“ Sektor zu unterstützen. Und das ist zuallererst eine politische Diskussion, keine ökonomische.