Jelzin will Kirijenko

■ Rußlands Präsident droht dem Parlament bei Ablehnung Kirijenkos mit Auflösung

Moskau (taz) – Vorläufig zögere er noch mit der Anschaffung einer Kirijenko-Puppe. Dies hatte noch am Donnerstag abend Wassili Grigorjew verkündet, der Produzent des beliebten satirischen TV-Marionetten-Spiels „Kukly“ (deutsch: Puppen). Die Darsteller aus Latex werden in Paris angefertigt und kosten pro Kopf immerhin 6.000 US-Dollar. Aber gestern geriet der TV-Produzent unter Entscheidungszwang. Denn schon am Morgen verkündete Präsident Boris Jelzin, er werde den 35 Jahre jungen Ex-Geschäftsmann Sergej Kirijenko der Duma endgültig für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen. Zugleich drohte Jelzin von seinem Recht Gebrauch zu machen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen, falls die Duma seinen Favoriten dreimal hintereinander ablehne. Das Parlament wird voraussichtlich am Freitag über Kirijenko debattieren.

Jelzin hatte am Montag überraschend die Regierung entlassen und den bisherigen Energieminister Kirijenko zum provisorischen Premier ernannt. Der Präsident stellte ihn vor die unangenehme Aufgabe, innerhalb von zwei Wochen ein neues Kabinett zu bilden. „Da wird der Karren vor den Gaul gespannt“, kommentierte ein bekannter Zeitungsverleger die absurde Lage von Jelzins Musterknaben. Kann man ein Kabinett zusammenstellen, um es einem noch nicht ermittelten Premier fertig vor die Nase zu setzen? Kirijenkos gestrige Nominierung zeigt, daß auch der Präsident erkannt hat, wie wenig praktikabel so ein Weg ist.

Der Sprecher der kommunistischen Duma-Mehrheitsfraktion, Valentin Kupzow, erklärte nach Bekanntwerden der Nachricht, er werde dieser Kandidatur „unter keinen Umständen“ zustimmen. Dabei gebrauchte er allerdings die Wörtchen „ich persönlich“. Gerade die Kommunisten fürchten nämlich vorgezogene Parlamentswahlen ganz besonders.

Gestern traf sich auch der Führer der liberalen Jabloko-Opposition, Grigori Jawlinski, mit Kirijenko. Jawlinski erklärte anschließend, er sähe keine Veranlassung, Kirijenkos Kandidatur zu unterstützen. Denn seinem Eindruck zufolge verfüge dieser über kein politisches Programm. Angesprochen auf Interviews, in denen Kirijenko noch als Minister geäußert hatte, er erledige seine Aufgaben am liebsten auf unpolitische Weise, sagte Jawlinski: „Für einen Automechaniker ist das eine wunderbare Einstellung, aber für den Premier eines großen Landes bedeutet sie eher ein Minus.“ Barbara Kerneck