Lehrer im Schulstreß

■ „Netzwerk innovativer Schulen“ auf Bildungskongreß in Münster gegründet

Münster (taz) – Theo M. Liket, Papst der holländischen Bildungsreformer, schreckte gestern seine deutschen Kollegen. „In Deutschland gibt es kein systematisches Bewerten von Schulen“, sagte er beim Münsteraner Bildungskongreß, „deswegen sind hier alle so erstaunt, wenn sie bei internationalen Schulvergleichen so schlecht abschneiden.“ Den Deutschen sitzt der Schreck eines Leistungsvergleichs der OECD noch im Nacken. Die Organisation der Industrieländer hatte vergangenes Jahr konstatiert: Deutschland rangiert in Mathe unter „ferner liefen“.

Nicht alle 51.000 Lehranstalten hierzulande fürchten sich davor, auf den Prüfstand gestellt zu werden. Über 400 Schulen begründeten gestern zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung ein „Netzwerk innovativer Schulen“. Evaluierung und Leitbild heißen die neuen Zauberwörter der Schule. Sie sollen die Schulen aus dem Klammergriff von Kultusbürokratie und Rahmenplänen befreien. Die Hamburger Max-Brauer-Gesamtschule zum Beispiel hat sich einen Schwerpunkt „Umwelt“ gegeben. In der Oberstufe werden nun die Leistungskurse Biologie und Erdkunde sowie Religion, Physik und Mathematik auf Umwelt zugespitzt. An diesen selbstformulierten Leitbildern muß sich die Schule dann in einer Evaluierung messen lassen. „Evaluieren ist nicht allein Kritik“, versuchte Theo Liket seinen deutschen Kollegen die Angst vor der Methode zu nehmen, „Evaluierung ist auch Aufzeigen von Stärken und Schwächen.“

Der Wunsch für einen Schulkongreß war von unten gekommen, von den Schulen. Die Reformpädagogen der Offenen Schule in Kassel-Waldau und die Wiesbadener Helene-Lange- Schule sind seit vielen Jahren dabei, in sozialen Problembezirken Häuser des Lernens und des Lebens aufzubauen. Aber: Sie wollen ihre Erfahrungen auch austauschen, denn „die fühlen sich völlig isoliert“, wie Anne Sliwka von der Bertelsmann-Stiftung die Situation der Reformschulen beschrieb. „Den Schulen steht ein Kulturbruch bevor“, sagte Jörg-Michael Berndt seinen KollegInnen voraus.

Zwei Tage lang hatte sich in Münster die Speerspitze der deutschen Schulreform gesammelt. Aber die sonst so selbstbewußten Pädagogen offenbarten eine tiefe innere Zerrissenheit vor den Methoden der neuen Schule. „Die KollegInnen haben schiere Angst davor, mal selber Noten zu bekommen“, schätzte Berndt ein, der in seiner Berufsschule eine qualitative Bewertung abgewickelt hat.

SchülerInnen waren auch in Münster anwesend: 32 von über 700 Teilnehmern. Die Zöglinge ließ das skeptisch auf die beabsichtigten Reformen blicken. „Die Gefahr ist, daß Schüler weiter wie Sachmittel verwaltet werden“, sagte Matthias Bernzen, Bezirksschülersprecher in Münster. Er forderte, daß die SchülerInnen an der Formulierung von Leitbildern und an der Evaluierung der Schulen beteiligt werden. Christian Füller

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