Shoa-Opfer bezwingen Schweizer Banken

■ US-Drohung zeigt Wirkung: Überlebende und Hinterbliebene des Holocaust setzen „Gerechtigkeitsfonds“ der Banken durch. Experte spricht von „Durchbruch“

Berlin (taz) – Die drei Schweizer Großbanken, die Schweizerische Bankgesellschaft, der Schweizer Bankverein und die Gruppe Credit Suisse, haben sich bereit erklärt, einen „Gerechtigkeitsfonds“ zu gründen. Dieser Fonds soll die Ansprüche von Überlebenden der Shoa bzw. deren Nachkommen, die heute amerikanische Staatsbürger sind und gegen die Großbanken klagen wollen, abgelten. Bislang hatten die Banken darauf bestanden, daß jeder Anspruch auf ein entsprechendes Konto nachgewiesen werden muß, was oftmals aufgrund der Verfolgungen während der Naziherrschaft unmöglich war.

Die Kehrtwendung der Banken kommt unerwartet, ist aber gut getimt. Denn sie erfolgte gerade rechtzeitig zu einem Hearing der Finanzdirektoren von Kommunen und Bundesstaaten der USA, auf dem die Boykottdrohung gegen Schweizer Banken konkretisiert werden sollte. Als besonders unangenehm hatte sich dabei die Empfehlung der New Yorker Finanzbehörde an die US-Zentralbank erwiesen, einer Niederlassung der neu fusionierten Credit-Suisse-Gruppe, der zweitgrößten Bank der Welt, nicht zuzustimmen.

Stuart Eizenstat, Unterstaatssekretär im amerikanischen Finanzministerium und führender Experte für die Restitutionsforderungen der Shoa-Opfer, sprach am Donnerstag von einem Durchbruch. Nach Eizenstats Meinung besteht der wichtigste Fortschritt darin, daß jetzt auf der Basis einer einheitlichen „Struktur“ verhandelt werden könne. Damit meinte er die Bildung eines Gremiums, das aus Vertretern der Schweizer Großbanken, den Anwälten der gegen die Großbanken klagenden amerikanischen Shoa-Überlebenden bzw. deren Nachkommen und – das ist neu – aus Vertretern des Jewish World Congress besteht. Dieses Gremium solle dann den „Gerechtigkeitsfonds“ ins Leben rufen.

Eizenstat sprach von der Möglichkeit, jetzt „allen Klagen ein Ende zu setzen“. Er wies allerdings auch darauf hin, daß es weder über die zur Verfügung stehende Gesamtsumme noch über den Verteilungsmodus Einigkeit gäbe. Amerikanische Quellen sprechen von einer bis drei Milliarden Dollar. Die aus den Klagen resultierende Gesamtsumme ist zehnmal so hoch.

Das Damoklesschwert des Boykotts schwebt weiter über den Schweizer Bankern. Allan G. Havesi von der New Yorker Finanzbehörde, einer der Organisatoren der Boykottkampagne, will den Verhandlungen Zeit geben. Sie müßten aber substantielle Resultate zeitigen – und das binnen kurzer Frist nach dem 24. April, dem Holocaust-Gedanktag. Zu diesem Datum sollen die Verhandlungen starten.

Kaum hatte Eizenstat die frohe Botschaft verbreitet, brach bereits der Streit um ihre Interpretation aus. Die New York Times vom Freitag berichtete, daß in die „Gesamtlösung“ auch ein Äquivalent für das den Juden geraubte und von den Nazis in die Schweiz transferierte Gold, für die beschlagnahmten Kunstwerke und für Geldtransfers aus der den Juden abgepreßten Sklavenarbeit einfließen werde. Dem gegenüber betonte ein Sprecher der Credit Suisse gegenüber der taz, es gehe lediglich um Vermögenswerte, die die Schweizer Privatbanken „direkt betroffen hätten“. Insbesondere alle mit dem Raubgold zusammenhängenden Fragen seien an die Schweizer Nationalbank zu richten, die während des Zweiten Weltkriegs für die Goldgeschäfte mit dem Deutschen Reich verantwortlich gewesen sei. Die Nationalbank ist eine Schweizer Bundeseinrichtung. Es gibt das Projekt eines eidgenössischen „Solidaritätsfonds“ (nicht zu verwechseln mit dem „humanitären Fonds“, den die Schweizer Banken bereits für Überlebende des Holocaust weltweit eingerichtet haben), aber über die genaue Zweckbestimmung und Funktionsweise dieses Fonds ist noch nichts beschlossen. Christian Semler