Hinten Europa, vorne Amerika

■ Der russische Künstler Ilya Kabakov baut in Bremerhaven eine Erinnerungskapelle für die AuswanderInnen des 19. und 20. Jahrhunderts

Die Stadt Bremerhaven erhält ein Denkmal, wie sie bisher noch keines gehabt hat. Im Zuge des Ausbaus der Hochschule Bremerhaven hat der Bremer Senat ein Kunstprojekt ausgeschrieben und sich jetzt für das Entwurfskonzept des russischen Installationskünstlers Ilya Kabakov entschieden.

Kabakov, 1933 in der Ukraine geboren und 1987 in den Westen emigriert, gehört heute auf dem internationalen Parkett der Kunstszene zu den hochgehandelten Stars. Daß er sich der kleinen Hochschule in Bremerhaven zuwendet, hängt mit der Geschichte des Gebäudes zusammen.

Der 1985 eröffnete Hochschulneubau umklammert die Reste des alten Auswandererhauses, das 1849 an dieser Stelle errichtet wurde, um die europamüden Auswanderer kurz vor dem Antritt der Reise in die Neue Welt für die letzten Tage an Land zu beherbergen. Ein Leckerbissen für alle geschichtsschürfenden Künstler.

100.000 Mark darf Kabakovs Kunstprojekt kosten. Der nun vorgestellte Entwurf sieht ein kleines Gebäude in Form eines leicht gestreckten Würfels vor (knapp 7 m lang und breit und über 6 m hoch), der vor dem erhaltenen Teil der ehemaligen Herberge stehen und durch einen Kopfsteinpflasterweg mit ihm verbunden sein wird.

Wer den fensterlosen roten Klinkerbau durch zwei schmale Tore betritt, findet an Wänden und Decke in feinen, blauen Graffiti-Konturen angedeutet, was die AuswandererInnen real und in ihren Träumen vom Schiffsdeck aus beim Blick in alle vier Himmelsrichtungen sehen konnten: Hinten das Heck des auslaufenden Schiffes mit der Silhouette Europas, mit einem Stück Segel und Wanten, vorne über den Bug die ersten schwachen Umrisse Amerikas. Das ganze Arrangement ist um 40 Grad geneigt, wie ein Schiff in den Wellen.

Der Kubus ist für Kabakov eine Erinnerungskapelle, ein öffentlicher Ort der Meditation, in dem jeder Besucher allein und individuell über die „Phantasien und Leiden“der Auswanderer nachdenken kann, kurz bevor sie ihren lebensentscheidenden„letzten Schritt“an Bord machen. „Last Step“nennt Kabakov das Memorial.

Bei der Präsentation in der Hochschule sprach er vom „Sprung in das absolut Unbekannte“. Er wolle die „emotionale Energie“dieses Platzes bündeln, er betone den „Kontrast zwischen gesellschaftlichem und individuellem Platz“, es ginge ihm um ein „starkes, sehr persönliches Gefühl“. Senatsvertreter Hans-Joachim Manske machte im Namen der hochkarätig besetzten Jury besonders deutlich, daß mit Kabakovs ebenso schlichtem wie präzisem Erinnerungsbau die Auswanderungsgeschichte der Stadt endlich ein adäquates Denkmal erhalte. Das in den 80er Jahren aus den USA gestiftete Denkmal hinterm Deich (Vater, Mutter und Kind blicken vom meterhohen Sockel in Richtung Amerika) sei, sagte Manske, „laut, naturalistisch, idyllisch, ein Abklatsch der Ausdruckssprache des 19. Jahrhunderts.“

Ilya Kabakovs Arbeit, mit dessen Realisierung spätestens im Herbst gerechnet wird, sei dagegen eine „künstlerisch herausragende Leistung.“

Ilya Kabakovs Installation ist nicht zuletzt auch ein Raum, der eigene Erfahrungen des Künstlers spiegelt: In den 60er und 70er Jahren gehörte Kabakov zu den führenden Künstlern in Moskau und blieb ohne öffentliche Ausstellung. Heute lebt er mit seiner Frau Emilia in New York und ist weltweit in allen großen Kunsthäusern zu Gast. „Der letzte Schritt“von der einen in die andere Welt hat ihn aus der Isolation befreit. Hans Happel