„Was Innensenator Borttscheller macht, finde ich gefährlich“

■ Ein Gespräch mit türkischen Jugendlichen über Islamismus, türkische Kultur, interkulturelles Handeln und Innensenator Ralf Borttscheller (CDU), der erneut über 800 „Glaubensfanatiker“in Bremen sprach

remens Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) hat der größten norddeutschen Moschee, der Fatih-Gemeinde in Gröpelingen, verfassungsfeindliche Tendenzen vorgeworfen. Sie sei Mitglied des Vereins Milli Görüs, der in Deutschland vom Verfassungsschutz observiert wird. Die Islamische Föderation Bremens hat daraufhin Borttscheller beschuldigt, er zerstöre den Bremer Dialog, der seit der Islamwoche interkonfessionell auf den Weg gebracht worden sei. Der Innensenator aber bekräftigte jetzt noch einmal seine Vorwürfe, daß es in Bremen 800 Glaubensfanatiker gebe. Die taz sprach darüber mit Mitgliedern und einem Sozialarbeiter des „Vereins Jugendlicher aus der Türkei“, der sich jetzt in „Toleranz, Jugend, Verständigung“(TJV) umbennen wird.

taz: Sagt euch Milli Görüs was?

Sadik (18), Schüler: Klar. Nationale Sicht, heißt das auf deutsch. Ich kenne die sehr gut. Das ist eine Partei wie die SPD oder so.

taz: Mit Religion hat Milli Görüs nichts zu tun?

Sadik: Nein. Mit der Moschee kann man das nicht vergleichen.

Recai (30), TJV-Sozialarbeiter: Aber Milli Görüs ist auch keine Partei. Milli Görüs ist die Unterstützer-Organisation der türkischen Refah-Partei.

taz: Könnte man die zum Beispiel mit den Reps in Deutschland vergleichen?

Sadik: Nein, überhaupt nicht.

Mikail (18), Schüler: Die Reps sind ja Soziopathen. Das wäre schon richtig hart, die miteinander zu vergleichen.

taz: Der deutsche Verfassungsschutz sagt: Wir beobachten Milli Görüs genauso wie die Republikaner. Und Bremens Innensenator Borttscheller hat jetzt gesagt: Zu Milli Görüs gehört auch Bremens größte Moschee in Gröpelingen.

Sadik: Das ist der Fehler. Man kann das nicht vergleichen. Das ist genauso, wenn im deutschen Fernsehen Ylmaz und Erbakan einander gegenübergestellt werden und gesagt wird: Der eine ist für Europa, und der andere ist für einen islamischen Staat.

taz: Ihr haltet Milli Görüs also nicht für extremistisch?

Fadi (20), Schüler: Doch, zum Teil schon. Aber nicht für gefährlich. Das was Borttscheller macht, das finde ich gefährlich.

Recai: Das ist richtig Stimmungsmache unter Deutschen. Borttscheller provoziert richtig Gewalt mit sowas. Natürlich vermischt die Refah-Partei Religion und Politik. Aber die haben hier in Deutschland keine Möglichkeiten. Genauso wenig wie Milli Görüs. Die können eine Zeitlang Jugendliche motivieren. Dann aber haben die keinen Bock mehr, und es ist wieder vorbei.

Mikail: Man verliert einfach mit der Zeit das Interesse.

Recai: Vor zehn Jahren war ich auch in so einer Gruppe. Das Problem war eigentlich nur, daß man erstmal ganz neu um Anerkennung kämpfen muß, wenn man da raus will. Weil die anderen dich nicht mehr akzeptieren.

Cagdas (15), Schülerin: Ich habe eine Freundin, die zum Hodia geht, weil ihre Eltern das wollen.

taz: Und meinst du, sie hört irgendwann damit auf?

Cagdas: Nein. Sie hat zuviel Angst vor ihren Eltern. Und wenn sie dann mal heiratet, will ihr Mann vielleicht auch, daß sie ein Kopftuch trägt.

Fadi: Ich habe eine Freundin, die schon als Kind das Kopftuch tragen mußte. Die ist so alt wie ich und macht das noch immer. Aber wenn sie in die Schule kommt, dann nimmt sie einfach das Kopftuch ab. Aber das bringt doch nichts. Wenn man nicht daran glaubt, dann soll man das auch nicht machen.

taz: Kennt ihr viele, die so gespalten leben?

Fadi: Das sind Ausnahmen. Eben die, die hier geboren und aufgewachsen sind. Die, die gerade erst gekommen sind, tragen das Kopftuch meistens freiwillig.

Recai: Oft ist das aber auch andersrum. Die Eltern der Jugendlichen, die seit dreißig Jahren hier sind, die leben immer noch in der Vergangenheit.

taz: Kürzlich war ein Soziologe in Bremen, Wilhelm Heitmeyer, der die Verlockung des Fundamentalismus für türkische Jugendliche untersucht hat. Türkische Jugendliche in Deutschland, sagt er, ziehen sich immer mehr in ihre Kultur zurück.

Recai: Dagegen hilft nur Integration. Und zwar mit einem Anti-Diskreminierungs-Gesetz, Abschaffung des Ausländergesetzes, Stimmberechtigung.

Fadi: Wir dürfen doch noch nicht mal was dazu sagen, ob euer Kohl oder Schröder gewählt wird.

taz: Wollt ihr das wirklich?

Fadi: Natürlich will ich das.

taz: Die meisten deutschen Jugendlichen sagen heute einfach „Kohl oder Schröder: Ist mir doch egal!“

Cagdas: Das wäre doch egoistisch, wenn wir sagen würden: Politik interessiert uns nicht, wir leben hier nur einfach.

taz: Wie würdet ihr euch als Gruppe politisch einordnen?

Recai: Total verschieden.

Fadi: Natürlich gibt es welche, die haben was gegen Kurden oder Aleviten.

taz: Und was sagt ihr zu der deutschen Kultur?

Cagdas: Deutschland hat keine eigene Kultur. Sondern eine gemeinsame mit Amerika und Europa.

Mikail: In der Geschichte ist Deutschland ja wirklich nicht soweit gekommen. Da gibt es nicht soviel, was interessant wäre. Nur die NS-Zeit.

taz: Aber ein kurdischer Folkloretanz ist auch nicht moderner als ein österreichischer Walzer.

Fadi: Ja, aber das Kurdische, Libanesische, Türkische hat Ähnlichkeiten. Wenn man diese Lieder hört oder danach tanzt, hat man das Gefühl, man wäre dort.

Mikail: Bei einer türkischen Hochzeit sind die Leute ganz außer sich. Wenn ich da mittanze, denke ich, ich wäre wieder in der Türkei in einem kleinen Dorf. Obwohl ich da nie gelebt habe.

Fadi: Der Körper kann das vielleicht nicht sofort. Aber seelisch ist man da gleich mit drin.

Das Gespräch mit den Jugendlichen führte Fritz v. Klinggräff