Modern, talgig

■ Paßt irgendwie: Wiedervereinigung, ZDF, Dieter Bohlen, das Internet. Hören Sie selbst!

Neulich in der Apotheke beim Kauf eines Sunblockers: „Der ist wirklich tolltollsupertoll – den nehme ich beim Golfen, beim Tennis, im Cabrio“, singsangte der braungebrannte Pharmazeut, sich durchs ölige Haupthaar fahrend. Ist Thomas wirklich anders? dachte ich. Er war es nicht, grinste aus Bild am Sonntag und hatte Größeres zu verkünden als Vorzüge eines Sunblockers: Das Comeback von Modern Talking, jener Band, die die 80er Jahre präzise auf den Punkt brachte.

Für solch präzise Zeitindikation braucht man im versprengten Nachfolgejahrzehnt bedeutend mehr Koordinaten als diese beiden wächsernen Knallchargen. Aber ganz bestimmt doch das Internet. Jahaaaa! Jede Wurstbude ist online, so daß http//www: als Symbol der Fortschrittlichkeit längst wieder passé ist.

Aber außer dem ZDF wird ja auch niemand behaupten wollen, daß Modern Talking modern, haha, sind. Aber online. Beim ZDF. Hallo. Doppelslash. Browser, Server, Link, die ganze Scheiße. Am Freitag die Netz-Ouvertüre, einen Tag später das große Oratorium bei „Wetten daß...?“

Irgendwie klappt wieder alles nicht, aber da ist der ungeübte User schuld. Anruf bei „ZDF online“. Mit dem Telefon, das gibt es ja auch noch. Die Dame ist geduldig und nett. Versuchen Sie es doch noch mal so, waren Sie schon mit der Maus da, gehen Sie noch mal zurück... Mit zunehmender Dauer unserer munteren Plauderei minimiert sie sukzessive die Benutzung von Fachbegriffen, bis wir nach ungefähr 25 Minuten bei (immer noch geduldigem!) Kindersprech angelangt sind, weitere 10 Minuten später fast beim Du. Es hapert daran, daß ich irgendwas irgendwo nicht runtergeladen kriege. Ich habe aber inzwischen das Gefühl, daß das nichts macht. Fotos immerhin kann ich sehen, und das reicht ja eigentlich. Findet auch die nette Dame: „Sooooo doll ist das da auch gar nicht, diese Konferenz.“

Und dann lese ich einen schönen Satz, eine Fan-Eintragung vom 28. Februar: „Heute ist der sechste Tag der Wiedervereinigung, die Zeitrechnung hat neu angefangen.“ Steht da, einfach so. Man hört immer noch nichts, aber das ist nun wirklich egal.

Wird so wie immer gewesen sein, diese Pressekonferenz mit Modern Talking, so wie Daily Talk auch. Es ist für alle o.k. und insgesamt nichts weiter als der ersehnte Untergang des Abendlandes. Die Vollidioten im Scheinwerferlicht reden sich um Kopf und Kragen (um den Verstand schon nicht mehr), und die anderen gucken erigiert bis irritiert zu. Bohlen und Anders werden so lange befragt, bis ihnen (je nach Zielgruppe des Interviewers) Frauenfeindliches, Lächerliches, schlicht Saudoofes o.ä. entgleitet (was speziell bei Bohlen nicht allzu lange dauert), und dann petzen die Frager das hernach ihren Lesern – seht mal, was der Bohlen doof ist! Und der freut sich über ein paar Doppelseiten mehr. So ähnlich funktioniert ja wohl auch das Internet...

Und dann aber der Auftritt: Zu hören war ein Medley, was aber bei dieser Band Quatsch ist, klingt nämlich bloß wie EIN langes Lied. Und als man sich gerade das gute alte Umhängekeyboard zurückwünschte (weit mehr noch als die Nora-Kette), da warf Bohlen seine Gitarre auf den Boden, damit Kurt Cobain nicht umsonst gestorben ist. So was. Benjamin v. Stuckrad-Barre