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■ Nebensachen aus IstanbulDer geschenkte Cousin aus Kolumbien

Vor vier Jahren trat er in mein Leben. Plötzlich stand er vor meiner Haustür. Meine Mutter behauptete, er sei mein Cousin. Ich solle mich anständig gegenüber dem Neuankömmling benehmen. Ich tat, was mir aufgetragen wurde. Die ersten Dialoge mit dem jungen Mann mit den leuchtenden Augen, dem man indianische Vorfahren anmerkt, führte ich auf Englisch. Kontakt zwischen Verwandten hat stets etwas Zwanghaftes, Aufgesetzes an sich. Was hatten wir schon gemeinsam, außer unserer Blutsverwandschaft? Ein Kolumbianer, der nach dem Studium der Architektur in Bogota, den Atlantik überquerte, in Istanbul ankam und wenige Brocken Türkisch mit spanischem Akzent sprach. Er schien der andere zu sein, Zufallsprodukt einer kolumbianisch-türkischen Liebe, geboren in Paris, zwei Monate vor dem Mai 1968.

Heute weiß ich, daß wir zusammengehören. Er ist nicht der Fremde. Die Form und die Sprache gesellschaftlicher Gewalt in Kolumbien und in der Türkei mögen sich unterscheiden, der Inhalt des Bösen bleibt.

Und mein Cousin und ich stehen stets auf der Verliererseite. Zum Beispiel bei der Flughafenpolizei der Staaten dieser Welt. Horrorgeschichten über britische und französische Grenzpolizei weiß mein Cousin zu erzählen. Ein kolumbianischer Staatsangehöriger mit türkischem Vornamen hat nichts zu lachen. Bei dieser Kombination hat so mancher Grenzbeamter schon den großen Fang von Kokain gewittert. In Paris dauerte das ganze einmal sechs Stunden. Und mein Cousin und ich gehören – egal, wo wir leben – zu den Ausgegrenzten, zu den Fremden. Als beschnittener Mann bin ich in Deutschland in peinliche Situationen hineingeraten. Mein Cousin ist in der Türkei mit den Worten „Bist du überhaupt beschnitten?“ schief angeguckt worden. Als Giavur, als Ungläubiger, der nicht auf dem Pfade Muhammeds schreitet. Mein Cousin und ich gehören zusammen. Feindesland für uns sind staatliche Ämter – Polizeiwachen insbesondere – und Kirchen und Moscheen. Gemeinsan ist unsere Liebe für Frauen, Alkohol und leidenschaftliche Freundschaften.

Ich habe viel von ihm gelernt, obwohl er zehn Jahre jünger ist. Wer weiß schon über die Unterschiede der Architektur in Medellin und Cali bescheid. Die Drogenbarone steckten in den achtziger Jahre das schwarze Geld in Luxusvillen. Doch die Nähe beziehungsweise Distanz des Drogenkartells zum Staat, zeigte auch Folgen in der Architektur. Von meinem Cousin habe ich den Satz „Estar como un Titi“ gelernt. Immer, wenn Menschen sich hysterisch wie die Titi-Affen benehmen, pflegen wir nun diesen Spruch.

Wir sprechen kaum über die scheinbar wichtigen Themen der Politik. Schweigsam, wie wir sind, empfinden wir einen natürlichen Ekel vor der wortgewaltigen Macht. Und nicht die Blutsbande, sondern eben jene Mächte führten uns zusammen. Das Zusammensein im kleinen Getto der Freunde an irgendeinem Ort der Welt, wo gut getrunken und gegessen wird. Manchmal denke ich: Ist es nicht wunderbar einen Cousin geschenkt zu bekommen? Ömer Erzeren

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