„Viele sind bereit, alles zu wagen“

■ Noch nicht mit dem Leben abgeschlossen: Hamburger Aids-Hilfe unterstützt HIV-Positive bei der Rückkehr ins Berufsleben

„Den Jahren Leben geben“– unter diesem Motto startet die Aids-Hilfe Hamburg im April eine Fragebogenaktion. HIV-Positiven und AidspatientInnen soll Mut gemacht werden, sich eine Beschäftigung zu suchen oder sich beruflich zu verändern. Die Interessenvertretung will für Menschen mit HIV und Aids Möglichkeiten schaffen, mit geeigneter Arbeit ihre Lebensqualität zu verbessern. Am Anfang steht eine Umfrage nach den Wünschen und Vorstellungen der Frauen und Männer, die mit dem Virus leben müssen.

In letzter Zeit haben viele HIV-PatientInnen gegenüber der Aids-Hilfe das Bedürfnis nach angemessener Arbeit geäußert. Das hat nicht nur den Geschäftsführer Peter Prosche auf die Idee gebracht, in dieser Hinsicht aktiv zu werden. „Viele wollen noch einen Traum verwirklichen und liebäugeln sogar mit dem Gedanken an einen eigenen Betrieb“, so Prosche. „Manche haben eine ungeheure Kraft“, weiß auch Projektentwicklerin Renate Haußmann. „Viele HIV-Positive sind gerade aufgrund der Tatsache, daß sie nichts mehr zu verlieren haben, bereit alles zu wagen.“

Durch die Auseinandersetzung mit der durch den HIV-Virus radikal veränderten Lebensperspektive entsteht bei vielen HIV-Positiven der Wunsch, mit der verbleibenden Zeit etwas besonderes anzufangen. Und dafür bleibt genug Zeit: Die statistische Lebenserwartung der Menschen mit HIV und Aids hat sich seit den 80er Jahren verlängert. Sie beträgt im Durchschnitt zwölf bis vierzehn Jahre und die Tendenz ist steigend. Viele PatientInnen mußten frühzeitig in Rente gehen, beziehen Sozialhilfe oder leben von Krankengeld. Andere konnten ihren Arbeitsplatz erfolgreich verteidigen.

„Die Umfrage soll jetzt klären, welche Betätigung gewünscht wird, ob es Bedarf nach einer Betreuung bei Problemen im Berufsleben gibt oder ganz andere Wünsche“, listet Prosche auf. Darüberhinaus sollen Strategien für den Erhalt bestehender Arbeitsverhältnisse entwickelt werden. Der Fragebogen wird über Beratungsstellen, ÄrztInnen und Apotheken verteilt oder kann direkt bei der Aids-Hilfe angefordert werden.

Rechtlich ist die Situation übrigens eindeutig: BewerberInnen müssen im Einstellungsgespräch keine Angaben über eine eventuelle HIV-Infektion machen. Ein Aids-Test kann nur mit ihrer Zustimmung durchgeführt werden. In der Hansestadt leben zur Zeit rund 8.600 Menschen, die sich irgendwann mit dem Virus infiziert haben. Unter den Neuansteckungen liegt der Anteil der Frauen mit nahezu zwanzig Prozent besonders hoch. Seit 1983 ist die Krankheit bei rund 1.600 Personen zum Ausbruch gekommen, etwas mehr als tausend Menschen sind an den Folgen der Aidserkrankung gestorben.

Trotz aller Fortschritte in der Medizin gibt es bislang keine Waffe gegen das Aidsvirus. Amerikanische Behandlungsmethoden haben den VirusträgerInnen jedoch neue Hoffnung verschafft. Mit einem Wirkstoffcocktail aus bis zu vier verschiedenen Präparaten kann die Zahl der Viren im Blut bei einigen Patienten unter die Nachweisgrenze gedrückt werden. Unklar ist bislang, ob die Viren im Gehirn, im Lymphsystem oder anderen Organen überdauern und sich nach dem Absetzen der Medikamente wieder ausbreiten würden. Dennoch gilt die antiretrovirale Kombinationstherapie bislang als Quantensprung in der Aidsforschung.

Lisa Schönemann