Näherinnen fühlen sich betrogen

■ In Delmenhorst verschwindet still und leise die traditionelle Textilindustrie / Hunderte von Arbeitsplätzen bereits verloren gegangen

Siegrid Garmhausen fühlt sich verschaukelt und betrogen. 18 Jahre lang hatte die 42jährige bei der Firma Jefra in Delmenhorst am Rockband gearbeitet. Monotone Handarbeit auf Akkord mit einem Verdienst von zehn bis 15 Mark pro Stunde. Dann schloß die Näherei einfach ohne Konkursverfahren ihre Tore: Die Näherin hatte Glück und fand eine neue Stelle als Kassiererin. Aber „für viele der 70 Frauen war es das wirtschaftliche Aus“, weiß sie.

Das Unternehmen Jefra gab auf, weil die Delmenhorster Dachfirma Delmod der Näherei sämtliche Aufträge entzog – wegen günstigerer Löhne und Arbeitsbedingungen im lettischen Riga. Für die Belegschaft bedeutete das Entlassungen ohne Sozialplan. Denn die Pläne zur Gründung eines Betriebsrates wurden immer wieder erfolgreich hintertrieben. „Einige haben über 20 Jahre dort gearbeitet. Und dann der Arschtritt! Ohne eine Mark Abfindung mußten wir gehen“, kritisiert die ehemalige Näherin.

Die Entlassungen bei Jefra sind kein Einzelfall. Die traditionelle Bekleidungsindustrie Delmenhorsts ist seit Mitte der achtziger Jahre im Untergang begriffen. Im Mittelpunkt steht dabei der Damenmodenhersteller Delmod, der jetzt wieder erneut in die Schlagzeilen kam. Die Firma will eine seiner letzten Produktionsstätten im Inland auflösen: die Satellitenfirma Belmod im westfälischen Geseke und damit 200 Beschäftigte entlassen. Öffentliche Stellungnahmen dazu meidet Delmod aber wie der Teufel das Weihwasser: „So ein Vorgang gehört doch nicht in die Zeitung“, heißt es aus der Geschäftsetage.

Die Tochterfirma in Gesecke wurde 1963 gegründet und kurz darauf in die Scheinselbständigkeit entlassen, der Inhaber formal ausgetauscht sowie Grundstück, Gebäude und ein Großteil der Maschinen lediglich verpachtet. Delmod liefert das erforderliche Material für seine Aufträge an. Die Nähereien selbst „veredeln“lediglich, wie Textilgewerkschafter Tillmann-Bramkamp erklärt. Sie schneiden zu, etikettieren und nähen Blazer, Kostüme und Blusen. Die ganze Ware wird dann von Gesecke aus zurück zur Vertriebszentrale nach Delmenhorst gekarrt und von dort in den Handel gebracht. Nebenaufträge sind in der Regel vertraglich verboten – dementsprechend groß ist die Abhängigkeit vom Auftragsmonopolisten Delmod.

Neben den beiden Firmen hat auch die Näherei Lamod in Delmenhorst ihre Belegschaft in den vergangenen Jahren von 300 auf rund 140 verkleinert. Die Zukunft der Lohnnäherei liegt jetzt in Lettland, Rumänien und in der Ukraine. Eine Arbeitsstunde kostet dort zwischen 40 Pfennig und vier Mark. In Deutschland fallen dagegen zwischen 38 bis 40 Mark an. Eine Lkw-Flotte befördert Stoffe und Knöpfe von Delmenhorst aus über die Ostgrenze und kehrt mit fertiger Ware zurück. Auf den LKWs prangt das Logo „Roko“– die Anfangssilben von Rolf Kohnert. Der war einst Geschäftsführer einer Delmod-Lohnnäherei. Näherin Siegrid Garmhausen fällt dazu nur ein: „Diese Leute fallen doch immer wieder auf die Füße.“

Michael Hollmann