"Ich meide den Apparat"

■ Der ostdeutsche Dramatiker Oliver Bukowski ist drastisch, erfolgreich - und sehr zurückhaltend: Er geht nicht ins Theater und scheut die Medien. Jetzt inszenierte er sein Stück "Nichts Schöneres" selbst und gab ers

Oliver Bukowski, Jahrgang 1961, geboren in Cottbus, schreibt seit acht Jahren Theaterstücke. „Postsozialistische Salonstücke“ wurden seine Texte genannt, oft geht es darin um „jene unbeachtete Mehrheit an Ostlern, die schon mit Fernbedienung und Bierbüchse auf der Couch liegen oder noch einen letzten, naiven bis tragikomischen Versuch unternehmen, sich auf die Winner-Seite der Marktwirtschaft hinüberzuretten“ (Bukowski).

Bukowski hat Philosophie studiert, schreibt aber dennoch keine intellektuellen Verlautbarungsstücke, sondern läßt erdnahe und gerade so über der Proll-Grenze angesiedelte Figuren zu Wort kommen, die sich in klar beschriebenen sozialen Umfeldern bewegen. Gleich mit seinem ersten Stück „Die Halbwertzeit der Kanarienvögel“ (1990) landete er einen Volltreffer. Bukowski wurde mehrmals in den Wettkampflisten von Theater heute zum „Besten Nachwuchskünstler“ gewählt; sein 1993 in Berlin uraufgeführtes Stück „Londn – L.Ä. – Lübbenau“ ist mittlerweile fast schon ein Klassiker.

„Nichts Schöneres“ heißt eines der jüngsten Stücke von Oliver Bukowski, kürzlich wurde es in Schwerin umjubelt uraufgeführt. Eine Art Lebensbericht der heftigeren Sorte: Die in die Jahre gekommene Mechthild erzählt von Einsamkeit, Demütigung und Gewalt. Von einem Mann, den sie über eine Anzeige kennengelernt hat, von ihrem Ex-Gatten Dieter, der sie geschlagen hat, weswegen sie ihn im Häcksler kleinmachte, vom Brutalosex im Frauenknast danach.

Bukowski hat jetzt zum ersten Mal selbst inszeniert und gemeinsam mit der Schauspielerin Christine Harbort produziert – eben „Nichts Schöneres“. Und er gab zum ersten Mal ein Interview.

taz: Sie fahren nicht zu Uraufführungen Ihrer Stücke, halten sich aus öffentlichen Diskussionen heraus und gaben bisher keine Interviews. Warum?

Oliver Bukowski: Werner Schwab hat mal gesagt, es gäbe zwei Möglichkeiten, mit den Medien umzugehen: entweder dauernd mit ihnen zu reden und notfalls sogar bizarre biographische Geschichten zu erfinden oder sich ganz raushalten. Meine Arbeit endet am Schreibtisch. Alles andere ist für mich nicht so ein großes Vergnügen.

Diesmal ist es nur deswegen anders, weil Sie selbst inszenieren?

Wenn ich das jetzt mache, dann tatsächlich nur deshalb, weil ich Regie führe. Es wäre albern, ein Stück zu produzieren und nachher so zu tun, als wäre man nicht dabeigewesen. In diesem Fall muß ich ja auf der Bühne stehen und der Schauspielerin die Hand halten.

Woher rührt Ihre Skepsis?

Ich schreibe ein Theaterstück von 40 bis 70 Seiten. Ich denke mir, das ist dann hinreichend für das, was ich zu sagen habe. Das Kommentieren dieses Stückes ist eure Sache, nicht meine. Außerdem finde ich es immer hochnotpeinlich, wenn junge Menschen jede Kamera suchen und sich und ihre Kunst erklären. Das können bestimmte Leute: Tabori etwa, oder Müller hat man gern zugehört, aber wenn man 35jährige über das Leben reden hört, dann ist das immer ein bißchen peinlich. Sollen sie doch ihre Stücke schreiben und den Mund halten.

Sie haben ausgerechnet im November 1989 mit dem Stückeschreiben begonnen. Hatte das etwas mit dem „historischen Datum“ zu tun?

Nein, das war Zufall. Ich wollte zusammen mit einem Freund, der ein paar Probleme hatte, ein Theaterstück schreiben. Es war dann fertig, aber es half ihm nicht. Er blieb weiter auf seiner Depression sitzen. Insofern war das erste Mal ein Mißerfolg. Ich habe das Stück „Die Halbwertzeit der Kanarienvögel“ wütend genommen, eingetütet und an die Theater geschickt.

Sie schreiben jetzt seit acht Jahren, ihre Stücke werden häufig gespielt und zumeist sehr wohlwollend aufgenommen. Aber ausgerechnet die Szenebühnen halten sich mit Aufführungen Ihrer Stücke zurück. Dabei sind doch gerade dort Theatermenschen Ihrer Generation am Ruder, die für sich meist mit starken Worten in Anspruch nehmen, soziale und ästhetische Extreme auf die Bühne zu hieven. Warum?

Da müssen Sie die Theater fragen. Ich bin kein Theatergänger, ich kümmere mich auch nicht so sehr darum, welche Konzepte es da gibt. Ich weiß nicht, warum die das an solchen Häusern nicht oder wenig spielen, ist mir eigentlich auch egal. Ich meide den Apparat. Ich habe ein sehr entspanntes Verhältnis zum Theater. Ich tüte den Text ein und schicke ihn zum Verlag. Die Stücke werden ansonsten ja gespielt, insofern habe ich kein Problem.

Sie sind in Cottbus geboren und aufgewachsen. Obwohl Sie schon lange in Berlin leben, schöpfen Sie noch immer kräftig aus der Lausitzer Provinz.

Ist nicht ganz so. Ich habe zwei Standbeine, und das erfolgreichere ist wohl diese mundartliche Richtung. Kroetz hat schon ganz recht, wenn er sagt, daß Dialekt, Mundart, sehr viel mit Sinnlichkeit, mit Landschaft, Leuten, Arbeit zu tun hat. Deswegen habe ich das probiert. Aber ich werde aufhören, diese Taste zu drücken, und habe es auch schon getan. Es gibt auch andere Stücke, die überhaupt nichts mit Mundart zu tun haben.

Ich meine mit Provinz nicht bloß die sprachliche Qualität, sondern auch das Milieu Ihrer Stücke.

Ist es nicht langweilig, über die Probleme eines gescheiterten Managers zu schreiben? Der meinetwegen in der Tiefgarage verzweifelt in seinem Porsche sitzt? Das ist nicht mein Gegenstand. Es gibt ein sehr erfolgreiches Stück von Urs Widmer, „Top Dogs“, aber er hat es in Zürich geschrieben, für Zürich. Ich würde mich ein bißchen schämen, wenn ich dieser Gegend, in der ich jetzt lebe, in Friedrichshain, wenn ich mir hier Manager und ihre Probleme zum Gegenstand nehmen würde.

Sie leben jetzt im Berliner Osten in Friedrichshain, bis vor kurzem hatten Sie Ihre Arbeitswohnung im prolligen Moabit in Westberlin, nicht etwa im Szenequartier Ost, in Prenzlauer Berg.

Moabit gefiel mir. Eine fast dörfliche Struktur in der Großstadt, man kannte sich. Wenn man mal nicht in seiner Stammkneipe war, machten die sich richtig Sorgen. Die haben die Rezensionen verfolgt, Hörspiele gehört – was sie noch hören konnten, je nach Zustand. Die haben sich richtig für mich interessiert; in der Kneipe interessiert man sich sowieso füreinander. Kleine Episode: Es gab da eine Frau, die sehr an der Flasche hing, alle Therapieversuche scheiterten, und die Ärzte sagten, wenn sie nur eine Flasche Wein am Tag trinken würde, dann könnten sie sie noch eine Weile am Leben erhalten. Also mußte das organisiert werden. Es war dann so, daß sie von Kneipe zu Kneipe und Imbißladen zu Imbißladen zog und die Kneiper und Imbißladenbesitzer sich immer wechselseitig anriefen: Bei mir hat sie jetzt zwei Gläser getrunken, bei mir drei und so weiter, und irgendwann war die Flasche voll, und es gab nichts mehr. Das ist Moabit.

Wie ist Friedrichshain?

Kälter. In Moabit hat jeder sein kleines Auskommen, da gibt es die Infrastruktur von kleinen Läden. Es geht einem nicht sonderlich gut, aber es geht einem. Hier ist nichts. Hier führt man sein Hunde aus und säuft sich zu Tode.

Man darf sich das also so vorstellen: Sie sitzen in einer Eckkneipe, trinken mit den Stammgästen und sammeln Material für Texte wie „Nicht Schöneres“?

In Moabit, in der Stammkneipe, kam ein guter Bekannter auf mich zu und sagte, ich sei doch Schreiberling, und er würde mir gerne mal sein Leben erzählen. Da stellt man eine Flasche Schnaps auf den Tisch und läßt ihn reden. In „Nichts Schöneres“ gibt es aber nur zwei Stellen, die authentisch sind. Alles andere ist Fiktion.

Was interessiert Sie an so einer Figur wie Mechthild in „Nichts Schöneres“, die ja ein ziemlich schlichtes wie trauriges Leben hinter sich hat und deren kleine, geordnete Welt nun noch einmal durcheinandergerät, weil sie sich ein bißchen verliebt hat. Und die natürlich daran scheitert.

Diese Frau ist nicht larmoyant. Der ist Furchtbares widerfahren, aber sie hat ihre Liebesfähigkeit behalten. Ist doch was.

Ich denke, daß Theatertexten schon archetypische Dispositionen zugrunde liegen sollten. Es gibt so kleinste gemeinsame Nenner im menschlichen Verhalten: Furcht, Liebe, Haß, Langeweile, Altruismus. Davon kann ich mir als Autor nehmen, was ich will. Ich zeige also zum Beispiel eine Liebesbeziehung unter dem Außendruck einer galoppierenden Verelendung. Stücke, die dabei auf alltägliche Wiedererkennungseffekte verzichten, die sich nur dem Archetypischen zuwenden, haben dann meistens nur ein kleines Expertenpublikum. Stücke, die sich nur um die Beliebigkeiten des Alltags kümmern, sind Boulevardklamotten. Ich liege dazwischen.

Warum haben Sie diesmal selbst inszeniert?

Zufall. Ich wollte mal vom Schreibtisch weg, wollte mal sehen, wie das ist.

Und, was hat es gebracht?

Daß ich vielleicht genauer mit Regieanweisungen umgehe. Ich habe gemerkt, daß oft unter dem Deckmantel der Werktreue genau das inszeniert wird, was in den Regieanweisungen steht. Obwohl ich immer warne, das sind keine Regiebefehle, sondern das ist die schlappste Phantasie dazu, um mich zu erklären.

Sie wollen jetzt aber nicht Regisseur werden?

Ach. Das ist sehr aufwendig, langwierig.

Und man muß dann auch noch Interviews führen.

Was das Schlimmste daran ist. Interview: Andreas Lehmann

„Nichts Schöneres“ mit Christine Harbort unter der Regie von Oliver Bukowski gastiert an verschiedenen Orten in Brandenburg. Vom 3. bis 5. 4. wird das Stück im Berliner Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg, aufgeführt