Ein höherer Preis für die Natur. Korrekt!

■ betr.: „Grüne kämpfen tapfer ge gen jede Stimme“, taz vom 23.3. 98

Langsam kotzt mich die pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit grüner FundamentalistInnen nur noch an. [...]

Daß eine Schrödersche Alleinregierung auf Bundesebene, die ja nach den Ergebnissen der Niedersachenswahl in denkbare Nähe gerückt ist, auf ökologischer Ebene zu herben Rückschritten führen dürfte, ist längst klar. Dieses Szenario verhindern zu wollen, ist als Wahlziel der Grünen mitnichten ehrenrührig. Dabei grüne Standpunkte so in Worte zu fassen, daß WählerInnen erkennen können, daß sie selbst von grüner Politik profitieren können, ist keine Preisgabe grüner Positionen. Beispiel ökologische Steuerreform, wo die Grünen das bei weitem fundierteste und seriöseste Konzept anbieten mit zum Beispiel deutlichen Entlastungen im Lohnnebenkostenbereich, von denen weite Teile der Bevölkerung Vorteile haben können. Statt dies – wählerInnenwirksam – darzustellen, wird in fundamentalistischer Manier ein Detail – Benzinpreiserhöhung – zur Hauptsache erklärt. Ebenso ist es mit dem Thema ökologisch vertretbarer Tourismus, das bei der Reiselust der Deutschen kein unwichtiges ist. Auch hier wird nicht die Verknüpfung „Förderung des Binnentourismus – Ökologie – Schaffung von Arbeitsplätzen“ in den Vordergrund gestellt, sondern wieder der moralische Zeigefinger, nur noch alle fünf Jahre eine Flugreise, was nebenbei auch noch nach alten DDR-Gepflogenheiten riecht. Daß es mit dem Flugtourismus so nicht weitergehen kann, ist klar. WählerInnen nur vorzuhalten, worauf sie, bitte schön!, verzichten sollen, statt ihnen auch zu zeigen, daß und auf welche Weise Grün Lebensqualität bedeutet, zeugt lediglich von moralinsaurem Rigorismus, nicht aber von politischer Weisheit. Martina Amberg, Hannover

[...] Vor lauter Angst, auch nur irgend jemandem auf die Füße zu treten, versucht die grüne Führungsriege, sich gegenseitig im Abwiegeln zu überbieten oder heuchelt hausbacken-bürgerliche Entrüstung, statt den feixenden Reaktionären übers Maul zu fahren. Keine Regierungsbeteiligung ist es wert, soviel vom eigenen Charakter aufzugeben; so werden am Schluß von dem, was mal eine echte Alternative war, nur ein paar grünlackierte Flecken auf dem Beton übrigbleiben.

Wenn es überhaupt eine Lehre aus diesem Debakel gibt, dann die, daß die Grünen auf dem konventionellen deutschen Medienschlachtfeld keinen Wahlkampf führen können, ohne Wesentliches über Bord schmeißen zu müssen. Darum rächt es sich jetzt, daß sie sich von der radikaleren Basis, die bei Bedarf auch mal ihre eigene Öffentlichkeit einfach auf die Straße schafft, soweit distanziert haben. Nicht die querschießende Fundamentalistenbasis ist es, die Schwierigkeiten verursacht, sondern eine realpolitische Avantgarde, die glaubt, sie könnte den Hohepriestern der bundesdeutschen Meinungsmache die Show stehlen in einem Spiel, auf dessen Regeln sie nicht den geringsten Einfluß hat, wie sich jetzt nur zu deutlich zeigt. Florian Suittenpointner,

München

Über die taz und den Mainstream der grünen Partei kann man derzeit nur noch den Kopf schütteln. Da hat die tourismuspolitische Sprecherin der Grünen, Halo Saibold, eine Äußerung getan, die einem ökologisch orientierten Programm gut zu Gesicht steht. Saibolds Appell an die UrlauberInnen, umweltschädliche Flugreisen auf ein Minimum zu begrenzen (und um mehr als einen Verzichtsappell handelt es sich bei ihrer Äußerung nicht), ist angesichts der Klimaproblematik nur zu begrüßen. [...] Natürlich wäre noch zu unterscheiden, ob nach Mallorca oder nach Neuseeland geflogen wird, natürlich darf Verzicht nicht mit Verbotsmaßnahmen durchgesetzt werden, aber als Aufforderung zum individuellen Maßhalten ist die Fünfjahresvorgabe zumindest diskussionswürdig. [...]

Der Tourismus als mittlerweile größte Einzelbranche der Weltökonomie ist nicht die „Industrie ohne Schornsteine“, wie viele uns glauben machen wollen. Er richtet spezifische Schäden in den Ökosystemen der Ferienregionen an, insbesondere in Ländern der Dritten Welt, wo die ökonomischen und sonstigen Voraussetzungen zur Bändigung der Touristenströme nur unzureichend vorhanden sind. Das ungeheure touristische Wachstum muß gebremst oder besser noch erträglich umgestaltet werden. Dazu hat Saibold wichtige Denkanstöße gegeben.

Doch derlei Einsichten verweigern sich die grünen Medienpromis mit Argumenten, die teilweise die Lufthoheit über den Stammtischen für sich beanspruchen können. Den Vogel abgeschossen hat Jürgen Trittin, der meint, wer wie er jedes Wochenende arbeite, wolle wenigstens zweimal im Jahr in Ferien fahren können, wie und wohin er wolle. Für die Veränderung solcher Muster der besinnungslosen Arbeitswut und Konsumgeilheit sind die Grünen einst mal angetreten. Christian Stock, Informations-

zentrum 3. Welt (iz3w), Freiburg

[...] Anstatt mit dummen Sprüchen vor die Presse zu gehen, sollten die Grünen sich lieber um die Bedürfnisse und Interessen ihrer potentiellen Wähler kümmern! Frau Saibold scheint nämlich nicht daran zu denken, wen ihre merkwürdigen Ideen treffen. Nämlich die, die sich sowieso schon selten einen Urlaub leisten können. Die Erwerbslosen, Alten, Kranken und anderen sozial Schwachen. Asoziale Besserverdiener können es finanziell sehr viel leichter wegstecken, wenn ihre Urlaubskosten steigen, während Erwerbslose oft jahrelang auf einen Urlaub im Ausland sparen müssen.

[...] Statt dessen sollten die Grünen mit sozialen und arbeitsmarktpolitische Themen wie zum Beispiel einer sozialen Grundsicherung gegen Armut, Einführung eines Mindestlohns, Arbeitszeitverkürzung, Berufs- und Qualifikationsschutz für Lanzeitarbeitlose etc. an die Öffentlichkeit gehen, denn fünf Millionen Erwerbslose sind kein zu verachtendes Wählerpotential. Sie müssen es nur mit den für die Erwerbslosen wichtigen Themen tun. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre zum Beispiel eine Unterstützung der monatlichen Erwerbslosenproteste vor den Arbeitsämtern. Bis jetzt glänzten sie dort (bis auf wenige Ausnahmen) mit Abwesenheit. R. Maréchal, arbeitsloser

Schriftsetzer, Bremen

Als Landpomeranze, beheimatet in den Gefilden des Aristoteles und als Vorstand des Touristikverbandes „Batib“, Ägäis-Türkei, bin ich mir der Wichtigkeit günstiger Flugmöglichkeiten bewußt. Und obwohl ich die Interessen viele Hoteliers und Reiseagenturen vertrete, muß ich der mutigen Aussage von Halo Saibold, das Flugkerosin höher zu besteuern, zustimmen. Die Ferienflieger fliegen doch auf Kosten der Umwelt; und Halo Saibold setzt einfach einen höheren Preis für die Natur an. Korrekt!

Hätten wir als Touristiker nicht auf die Unterstützung von Frau Saibold bei unserem über acht Jahre währenden Kampf gegen internationale Goldkonzerne, die mit zig Tonnen Zyanid unsere wunderschöne, geschichtsträchtige Ägäisküste verpesten wollen, bauen können, würde es wohl bald keinen Unterschied mehr machen, ob ein Tourist mit billigem oder teurem Kerosin ins Urlaubsland fliegt – es gäbe uns als Urlaubsland dann wohl nicht mehr. Frau Saibold unterstützte uns mit demselben ethischen Grundgedanken, der ihr bei der Frage des Kerosins großen Widerstand einbringt. Doch: Wer die Rose liebt, muß die Dornen ertragen. Birsel Altin-Lemke, Burhaniye,

Türkei

Die Ablehnung von über Kosmetik hinausgehenden ökologischen Reformen, die sich in den Stimmenrückgängen der Grünen bei den letzten Wahlen verdeutlicht, macht auf zwei Dilemmata aufmerksam:

1. Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima ist es nicht möglich, über den offenen Weg der Propagierung eines Politikwechsels die Kohl-Regierung abzulösen. Für die Träger linker und alternativer Positionen besteht allerhöchstens die Möglichkeit, sich geduckt im Schatten von Schröder, begünstigt durch den Verschleiß der CDU, in die Regierungsverantwortung nach Berlin zu schleichen. Ob sich im Anschluß an so eine Gangart dann mehr als Posten herausholen lassen, ist äußerst zweifelhaft.

2. Der Gegenwind gegen Ökosteuern, die diesen Namen verdienen, das heißt die auch wirklich steuerungsfähig sind und einen Strukturwandel in Richtung weniger Ressourcenverbrauch induzieren, ist kein Kind schlechter Rhetorik oder Pädagogik. Wer meint, eine nachhaltige Lebens- und Produktionsweise sei allein über technische Veränderungen der Produktion wie Effizienzsteigerungen (etwa mit Dreiliterautos oder besserer Wärmedämmung) oder dem Übergang zu Kreislaufökonomien möglich, mag dies noch vertreten können. Nach allem, was wir heute wissen, wird das nicht ausreichen. Auch der Lebensstil wird sich ändern müssen: Die Leitbilder der Wuppertal-Studie wie etwa „Gut leben statt viel haben“ oder die Entschleunigungsstrategie „Rechtes Maß für Raum und Zeit“ sind dafür zumindest gute Diskussionsansätze. Selbstverständlich sind damit auch Verminderungen von jetzigen Nutzungen von Auto, Flugzeug, Flächen und sonstigen Gütern verbunden zugunsten einer anderen Lebensphilosophie. Eine Ökosteuer zwingt nun den armen Teil der Bevölkerung zu dieser sparsamen Lebensweise, während sie es dem besserverdienenden Teil der Gesellschaft weiterhin offen läßt, ob sie für fünf Mark Auto fahren oder dreimal im Jahr nach Kreta fliegen wollen oder nicht. Die „Demokratisierung durch Massenkonsum“ wird damit zurückgenommen. Die Schere zwischen Reich und Arm würde noch größer als sie es ohnehin schon ist. Die Akzeptanz von ökologisch begründeten Einschränkungen wird hingegen nur bei deutlich veränderter Reichtumsverteilung überhaupt eine ernsthafte Chance haben. Dazu gibt es bei den Grünen – aber auch in den größten Teilen der Gesellschaft keine ernsthafte Bereitschaft. Von der SPD, die wieder an ihrem wirtschaftspolitischen Fünfziger-Jahre-Konzept „Arm und Reich kriegen jeder was dazu durch Wachstum“ angekommen ist, soll in diesem Zusammenhang nicht weiter gesprochen werden. Ulrich Schachtschneider,

Oldenburg

Allmählich, liebe tazler, werde ich sauer über Eure einseitige Sichtweise. Daß ein paar grüne Realofunktionäre ab Herbst endlich Rangabzeichen tragen wollen, bedeutet noch lange keinen Politikwechsel – und bevor die Grünen zur Schröderisierung dieser Republik, die sich einst als sozialer Rechtsstaat definiert hat, beitragen, kann frau/man es auch bei der Westerwellisierung unter Henkel, Kohl und Schäuble belassen. Denjenigen Grünen, die anhand der Reizthemen fünf Mark, Flugbenzin oder Kriegspielen im Balkan klarmachen, daß der Politikwechsel das endgültige Verkommen des Gemeinwesens zum Wirtschaftsstandort verhindern muß, kann man nicht genug danken – auch wenn's immer weniger werden. August Müllegger, Friedberg