Im Olymp des Orients

Libanons legendäre Sängerin Fairuz galt in der arabischen Welt als Symbol einer neuen Zeit. Doch die Zeiten haben sich geändert: Ein Sampler bietet Rückschau  ■ Von Volker Michael

Die Botschafterin der Sterne in der arabischen Welt“ nannte sie der ägyptische Komponist Muhammad Abd-al- Wahhab, selbst kein kleines Licht. Fairuz – der Künstlername bedeutet „Türkis“ – wuchs schon zu Lebzeiten zur Legende heran. Nach der Ägypterin Umm Kalthum gilt sie unbestritten als die größte arabische Sängerin des Jahrhunderts.

Ihre Biographie trägt märchenhafte Züge. Und genau das war es, was die meisten Libanesen, überhaupt die meisten Araber, in der Zeit ihrer größten Erfolge, den 50er und 70er Jahren, hören wollten, da das Leben wenig Erfreuliches zu bieten hatte. Als Nuhad Haddad wurde Fairuz 1933 in einer maronitischen, also christlichen Familie geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen in Beirut auf, wohin ihre Familie vom Land gezogen war. 1947 gelangte sie, protegiert von dem Musiker Muhammad Fleifel, ans Konservatorium, wo sie vor allem im „tagwid“, der künstlerischen Koranrezitation, unterrichtet wurde. Doch Fairuz' Stimme klang nicht nur einzigartig, sondern schien auch besonders geeignet, arabische und internationale musikalische Elemente in einem neuen Stil zu vereinen. An dieser Synthese arbeiteten Anfang der 50er Jahre die Gebrüder Mansur und 'Assi Rahbani, zwei Musiker, die sich als Polizisten ihr Geld verdienten. Letzteren, den Komponisten und Arrangeur ihrer Lieder, sollte Fairuz später heiraten.

Beirut – die Hauptstadt des einst als „Schweiz des Orients“ gepriesenen Levantelandes – war in jenen Tagen eine kulturelle Metropole, in der musikalische Strömungen unterschiedlichster Herkunft aufeinandertrafen und ein aufgeschlossenes, kosmopolitisches Publikum fanden. 1951 trat Fairuz in Beirut mit einer argentinischen Tango-Band auf und sang Melodien, die ursprünglich aus Tänzen wie dem Tango oder der libanesischen Dabka stammten. Seit dieser Zeit spricht man vom arabischen Tanzlied, das Fairuz mit den Rahbani-Brüdern entwickelte und popularisierte.

In den 50er und 60er Jahren wurden in den meist jungen arabischen Staaten, auch zum Zwecke der Herausbildung einer Nationalkultur, eigene Volksmusiktraditionen wiederentdeckt und modernisiert. Das Instrumentarium des Rahbani-Stils bildete eine solche Synthese, eine Mischung aus Volksmusik, klassisch-arabischen, alten regionalen und neuen nationalen wie westlichen Elementen.

In der gesamten arabischen Welt stieg Fairuz in den 60er und 70er Jahren kometengleich auf zum Symbol von Modernität schlechthin, verkörperte die Hoffnung auf sozialen Aufstieg und befriedigte den Drang nach kultureller Selbstbestätigung. Ihr Erfolg verlief nicht zufällig parallel zur Gründung und Entwicklung neuer Sendeanstalten und Aufnahmestudios in der Region, in Beirut, Damaskus und Kairo. Im Vergleich zu den eher freimetrischen, sich ewig ausdehnenden Gesängen Umm Kalthums und ihrer Zeitgenossinnen ging Fairuz einen großen Schritt weiter in Richtung einer modernen populären Musik arabischer Prägung. Sie verstand es dabei, die von ihr selbst wie auch von den in die Städte strömenden Landbewohnern empfundene Unvertrautheit mit der städtischen Lebensweise, die Sehnsucht nach der dörflichen Vergangenheit, in ihren Stücken auszudrücken.

Fairuz intonierte klassische arabische Dichtung und Liebeslieder traditioneller wie moderner Machart und sang kämpferisch-agitatorische Nationallieder, denen ein sowjetrussischer Einfluß hörbar anhaftete. Sie interpretierte eingängige Volks- und Kinderlieder, füllte Hauptrollen in Musicals und Musikfilmen aus und gab sich ganz der Leidenschaft der Rahbanis hin, dem arabischen Jazz, zuletzt auf der 1987er Platte „Kifak Inta“. Ihre Musik trägt viele Welten in sich, und lange vor dem Aufkommen der „Weltmusik“ verbreitete sie sich durch Fairuz' Auftritte in westlichen Konzerthallen vom Londoner Palladium bis zur New Yorker Carnegie Hall, auch dorthin, wo kaum jemand das gepflegte Arabisch ihres Gesangs verstand. Als musikalisches Sinnbild des sinnlichen Orients (und des begehrenswert Weiblichen) fand dieser Gesang Jahre später Eingang auch in Jean Rocheforts Film „Der Mann der Friseuse“.

Der Plattenmulti EMI hat nun die Archive seines arabischen Ablegers durchforstet und im Rahmen seiner polyglotten „Hemisphere“-Reihe einen Fairuz-Sampler herausgeben, der die arabische Legende nun, mit gehöriger Verspätung, auch in Deutschland einführt. Die Platte versammelt sämtliche Live-Aufnahmen älteren Datums, klassisch-traditionelle wie nationalbewegte Lieder mit symphonischer Begleitung, die Bezüge zu Orten wie Beirut, Bagdad, Kuwait, Amman und Kairo haben. Es handelt sich also nur um einen – wenn auch wichtigen – Teil ihres Repertoires. Es fehlen dagegen die nicht minder wichtigen umgangssprachlichen Liebes- und Tanzlieder wie auch die modernen jazzigen Songs. Und es fehlen die nationalistischen Hymnen über Jerusalem, „die schönste der Städte“, „Jaffa“ oder „Wir werden eines Tages wiederkehren“ von der Platte „al-quds fi'l-bal“ (Jerusalem in meinem Herzen), die Fairuz' Ruhm vor allem unter Palästinensern begründen.

Trotzdem ist die Zusammenstellung konsequent und eindrucksvoll – schnell erschließt sich der Reiz des Fairuz-Rahbani-Stils und die klare Strahlkraft der „sawt al-muchmali“, der samtenen Stimme von Fairuz. Zugleich deuten die Lieder allerdings auf die Vergänglichkeit von Musik und ihren Inhalten hin. Fairuz und ihre Kunst überlebte zwar den libanesischen Bürgerkrieg ebenso wie die Korruption und Gewalt der arabischen Regime, doch die Uhr lief weiter – musikalisch, ästhetisch und politisch. Fairuz ist nicht die Sache der arabischen Jugend, welche die Bevölkerungsmehrheit in den meisten arabischen Ländern stellt. Sie hat Eingang gefunden in den Olymp der arabischen Musen, aber ihre Lieder künden von einer vergangenen Zeit, von der Euphorie nach Erlangung der Unabhängigkeit und dem Streben nach kultureller Selbstbesinnung, religiöser Toleranz und zivilisatorischem Fortschritt. Seit 1987 hat Fairuz keine neue Platte herausgebracht – als fehlte ihr die Sprache für die neue Zeit. Volker Michael

„Lebanon – The Legendary Fairuz“ (EMI/Hemisphere)