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: Wenn Künstler zuviel Rotwein trinken

■ Die Suche nach Gemeinschaft: Autoren, die bildende Kunst und die eigene Poetik

Albert Camus' berühmte Erzählung „Jonas oder der Künstler bei der Arbeit“ behandelt den klassischen Konflikt zwischen Gemeinsamkeit und Einsamkeit als widersprüchliche Voraussetzungen künstlerischer Produktion. Der Maler Jonas ist auf der Suche nach einer Existenzform, in der er allein sein kann, „ohne sich von den Seinen zu trennen. ... Er mußte sich endlich des Geheimnisses bemächtigen, das, wie er eingesehen hatte, nicht bloß das Geheimnis der Kunst war.“ Diese Problemstellung taucht in vielen literarischen Texten auf, die Fragen der Ästhetik im allgemeinen und solche der bildenden Kunst im besonderen behandeln.

Natürlich gehört auch Peter Weiss' Opus magnum „Die Ästhetik des Widerstands“ dazu; der epochale Roman ist jetzt in einer neuen, einbändigen Taschenbuchausgabe auf den Markt gekommen. Was bei Camus mit den Begriffen Einsamkeit und Gemeinsamkeit umrissen wird, ließe sich bei Weiss mit den Polen Subjektivität und Solidarität fassen. Beispielsweise wird Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ bei Weiss zum Medium eines Rezeptionsprozesses, der sich zwar von der marxistischen Doktrin verabschiedet; das Gemälde wird jedoch verstanden als „Kunde der persönlichen Katastrophe des Malers“, aber nicht so, daß damit das Gesellschaftliche und Historische zu reiner Subjektivität verdampft.

Auch der amerikanische Romancier Irving Stone hat sich mehrfach mit Fragen der bildenden Kunst auseinandergesetzt, indem er etwa einen Roman über Vincent van Gogh schrieb oder auch den biographischen Roman „Michelangelo“. Das Buch ist zwar eine Art historischer Kolossalschinken vor der bewegten Kulisse der italienischen Renaissance, aber es ist sehr genau recherchiert und entfaltet den Konflikt zwischen Michelangelos subjektivem Gestaltungswillen und den Erwartungshaltungen und Anmaßungen seiner zumeist päpstlichen Auftraggeber.

Indem Schriftsteller in ihren Romanen und Erzählungen von anderen Künstlern sprechen, wird meistens die Problematik der eigenen Produktion diskutiert, verhüllt im anderen Medium. Wenn bei Camus oder Peter Weiss von bildender Kunst die Rede ist, entfalten sie zugleich die Poetik ihres eigenen Schreibens. Das gilt auch sehr unmittelbar für Hermann Hesses Erzählung „Klingsors letzter Sommer“; in der Krise eines Malers reflektiert Hesse seine eigene Schreibkrise von 1919. „Diese Novelle ist sehr schön“, bemerkte Bert Brecht. „Es ist einer darin, der am Schluß nur mehr roten Wein trinkt und verkommt und die Jahreszeiten anschaut und den Mond aufgehen läßt, das ist seine Beschäftigung.“

Einer etwas anderen Beschäftigung geht ein gescheiterter Maler der Jahrhundertwende in Hermann Bahrs Roman „Die gute Schule“ nach. Als dieser Bohemien in eine Krise gerät, weil er seinen eigenen, ästhetischen Ansprüchen nicht genügt, stürzt er sich in eine Liebesaffäre, in der er seine sadomasochistischen Neigungen entdeckt und auslebt. Das Buch machte deshalb, als es 1890 erschien, ziemlichen Skandal. Heute lesen sich die sogenannten Stellen aber eher unfreiwillig komisch.

Über das schwierige Verhältnis von Sexualität und Kunst erfährt man da schon mehr in James Lords Erinnerungsbuch „Picasso und Dora Maar“. Der homosexuelle Autor kam 1944 mit der amerikanischen Armee nach Paris und lernte dort Picasso kennen, der damals noch mit Dora Maar liiert war. Als Picasso sie sitzenläßt, kommt es zwischen ihr und James Lord zu einer ebenso heiklen wie anregenden „platonischen“ Beziehung, über der immer Picassos Schatten hängt.

Was wäre die Kunst ohne Sammler, die ja nicht selten große Mäzene waren? Daß sie mit ihrem Mäzenatentum am Ende zumeist mehr verdienten als die von ihnen geförderten Künstler, steht auf einem anderen Blatt. Manfred Reitz stellt in seinem Buch „Berühmte Kunstsammler“ von der Antike bis zur Gegenwart vor, vom alten Rom bis Henri Nannen. In diesem Panoptikum treffen sich Kunstdiebe, Scheckbuchsammler und echte Kunstkenner. Klaus Modick

James Lord: „Picasso und Dora Maar“. Fischer TB

Irving Stone: „Michelangelo“. rororo

Albert Camus: „Jonas oder Der Künstler bei der Arbeit“. rororo

Hermann Hesse: „Klingsors letzter Sommer“. Ullstein TB

Hermann Bahr: „Die gute Schule“. Ullstein TB

Peter Weiss: „Die Ästhetik des Widerstands“. Suhrkamp TB

Manfred Reitz: „Berühmte Kunstsammler“. Insel TB