Klimawechsel in Worpswede

■ Nach zweijähriger Totalsanierung präsentiert sich die Bremer Kunsthalle erfrischend bunt: Alte Meister hängen an altrosa Wänden, Paula Modersohn-Becker neben Cindy Sherman

Meistens hängen die Bilder in den Kunstmuseen heutzutage brav auf neutralen weißen Wänden. Nicht so in Bremen. Jedenfalls jetzt nicht mehr. Denn mit dem zweijährigen Umbau und der Sanierung der Bremer Kunsthalle wurde dort auch das Prinzip der weißen Wände beseitigt. Statt dessen hängen die alten Meister jetzt in der Galerie-Etage auf altrosafarbenen Wänden, die Niederländer und Flamen auf Lindgrün, Liebermann und Corinth auf Gelb, Slevogt auf Blau und so weiter. Ein mutiges Konzept, das bei den meisten in der Moderne sozialisierten BetrachterInnen zunächst auf Skepsis stößt, nach kurzer Eingewöhnung jedoch als überaus stimmig empfunden wird – „klassisch, aber modern“, wie der Direktor der Kunsthalle, Wulf Herzogenrath, erklärt.

Obwohl es aussieht, als habe sich die Kunsthalle im Vergleich zu früher kaum verändert, sind die Eingriffe erstaunlich. Im Eingangsbereich wurde die zentrale Treppe weggerissen, um Platz zu schaffen für eine großzügige Halle mit ovaler Deckenöffnung, die in der Mitte den Blick in die obere Galerie freigibt. Eine gelungene Erweiterung durch den Bremer Architekten Prof. Wolfram Dahms, der sich – abgesehen von dieser Beseitigung und Verlagerung des Treppenhauses in den Seitentrakt des Gebäudes – in puncto eigener Handschrift stark zurückgehalten hat. Oder, wie Herzogenrath es nennt: Dahms hat es verstanden, „die Kunst im Environment wirken zu lassen“.

Möglicherweise wird in diesem Bauprojekt ein Vorteil des Ausschreibungsverfahrens sichtbar, zu dem der Bremer Kunstverein als Träger ausschließlich ortsansässige Architektenbüros eingeladen hatte. Man wollte durch die Eingebundenheit in die Stadt gleichsam an den Respekt vor deren Geschichte appellieren und verhindern, daß sich ein Architekt mit einem spektakulären Gebäude selbst ein Denkmal setzt.

Das Resultat der Bremer Totalrenovierung – deren Kosten von 21 Millionen Mark zu einem Drittel aus Privatspenden bestritten wurden – bezeichnet Herzogenrath als Ensemble aus „unterschiedlichen Klimata, nicht im physischen Sinne, sondern im Erlebnissinne“. Damit spielt er neben der architektonischen und der farblichen Struktur auch auf die besondere Art der Hängung an, die das neue Kunsthallenkonzept bestimmt. Auffällig wechseln sich hier sehr enge, mehrstöckige Bildreihen mit der weiträumigen Anordnung einzelner Gemälde in anderen Teilen des Hauses ab.

So entsteht beim Rundgang ein ungewöhnlicher Kontrast, der mancherorts noch dadurch verstärkt wird, daß man die ansonsten weitgehend chronologische, werkgeschichtliche Abfolge mit plötzlichen Einsprengseln unterbrochen hat. Im Kabinett von Paula Modersohn-Becker etwa hängt mitten zwischen den Gemälden der Worpswederin das „Selbstportrait in historischem Kostüm“ von Cindy Sherman, und in einem anderen Raum werden den Porträtmalereien der Goethe-Zeit die schrillen Foto-Szenarien Wolfgang Tillmanns entgegengesetzt.

Glücklicherweise werden solche Kontraste nicht übertrieben, sondern beschränken sich auf einige Akzente. Ansonsten erfolgt die Hängung nach Chronologie und Werkgeschichte, mit vielen reinen „Künstlerräumen“, in denen Liebermann, Slevogt, Corinth und Co. besonders gut zur Geltung kommen. Ein echtes Highlight in dieser Hinsicht bildet das Kabinett mit den Bildern Delacroix', von dem die Bremer Kunsthalle die größte Sammlung außerhalb von Paris besitzt.

Ebenfalls neu ist in der Bremer Kunsthalle die Medienkunst, die unter Direktor Herzogenrath – ausgewiesener Spezialist auf diesem Gebiet – entsprechend großen Raum einnimmt, konkret: die gesamte obere Etage der Kunsthalle. Von einer John-Cage-Installation unter der zentralen Glaskuppel über Otto Pienes „Salon de Lumière“ bis hin zur eigens für das Museum geschaffenen „Farbe für einen Raum“, in der der 31jährige Künstler Olafur Eliasson mit einem Raum voll von grell leuchtendem Gelb das neue Farbkonzept der Kunsthalle überzeugend auf den Punkt bringt, sind hier durchweg spannungsreiche Exponate zu sehen.

Was man freilich vermißt, sind Werke aus der frühen und späteren Nachkriegszeit diesseits der Medienkunst. Weder Malerfürsten wie Graubner, Polke oder Baselitz, noch Matta und Tàpies oder gar Warhol, Rauschenberg und Co. sind hier zu finden – obwohl einige von ihnen zum Bestand des Hauses zählen. Wer sie sucht, den verweist Kunsthallendirektor Herzogenrath lieber auf das Neue Museum Weserburg.

Abgesehen von dieser auffälligen Leerstelle ist in der Bremer Kunsthalle die Verbindung von Geschichte und Gegenwart gelungen. Dazu zählt auch die Präsentation der großen Eingangshalle, in der das Museum sich und seine Besucher mit den malerischen Fotografien von Thomas Struth und Howard Kanowitz fotografischer Malerei „The opening“ gleichsam selbst reflektiert. Der „zeitenverbindende“ Anspruch der Kunsthalle wird indes schon an der Außenfassade sichtbar: Hier sind die ursprünglichen Skulpturnischen von 1849 rekonstruiert, in deren einer Carl Steinhäusers Marmorfigur „Der Genius des Friedens“ einer eigens für Bremen geschaffenen Videoskulptur von Nam June Paik gegenübersteht. Für Herzogenrath ist diese Situation eine ideale „Begegnung von 19. und 21. Jahrhundert“. Friedwart Maria Rudel

Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, 28195 Bremen. Bis 10. Mai werden im Anbau Arbeiten aus dem Kupferstichkabinett gezeigt