Zweifel säen für den Pastor

Verteidiger des Totschlag-Angeklagten Klaus Geyer plädieren für Freispruch. Pastor vergleicht sich mit KZ-überlebenden. Weitere Gutachten gefordert  ■ Aus Braunschweig Bascha Mika

„Ich habe das Gefühl, daß uns dieser Prozeß vielen Wahrheiten, aber nicht der Wahrheit nahegebracht hat.“ Mit diesem Satz hat Klaus Geyer recht, der gestern sein Schlußwort vor Gericht sprach. Der Pfarrer aus Beienrode ist angeklagt, seine Frau erschlagen zu haben. Zum letzten Mal, bevor das Urteil über ihn gefällt wird, versuchte er, die Richter von seiner Unschuld zu überzeugen. Nachdenklich, leicht vorwurfsvoll, mit deutlich vernehmbarer Stimme – ein Pastor eben.

„Die Phantasie der Böswilligen reicht weiter als die Phantasie der Friedfertigen“, zitierte Geyer die Theologin Dorothee Sölle. Und meinte mit den „Böswilligen“ offenbar nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Medien, die „einen Hinrichtungs-Journalismus“ betrieben hätten. Er warb um Verständnis für seine Situation und schreckte nicht davor zurück, sich mit Auschwitz-Überlebenden zu vergleichen: Er wisse jetzt, was es bedeute, wenn „eine Katastrophe“ über einen Menschen hereinbreche. „Ich bitte das Gericht um Rechtsprechung“, fügte Geyer am Schluß seiner einstündigen Ansprache hinzu. „Ich bitte nicht nur um Freispruch, sondern auch um ein Stück Rehabilitation.“ – „Amen“, tönte es da aus dem Publikum. Und vor den Türen des Gerichtssaals überboten sich die Prozeßbesucher mit Strafforderungen für den Angeklagten.

Der Indizienprozeß gegen Klaus Geyer ist immer für Überraschungen gut. So wartete die Verteidigung gestern mit einer veränderten Strategie auf. Zwar plädierte sie planmäßig, doch sie stellte auch noch zwei sogenannte Hilfsbeweisanträge. Stimmt das Gericht diesen Anträgen zu – was voraussichtlich in den nächsten zwei Tagen entschieden wird –, müssen zwei neue Expertisen erstellt werden. Dann wird noch einmal untersucht, ob die Erde an den Stiefeln des Angeklagten tatsächlich vom Leichenfundort stammen kann und wie die Beschaffenheit der Böden in der Region ist. Die unendliche Geschichte eines Gutachterstreits. Die Urteilsverkündung, die für den kommenden Dienstag geplant war, würde sich dann erneut verschieben.

Klaus Geyers Anwälte setzten in ihrem Plädoyer voll auf die Maxime „Im Zweifel für den Angeklagten“ und plädierten auf Freispruch. Mit akribischer Fleißarbeit – im Gegensatz zu den Staatsanwälten – versuchten sie, die Argumentation der Anklage zu zerpflücken. Stück für Stück nahmen sich Bertram Börner und Ernst- Otto Nolte die Indizien vor; allein der Erde an den Stiefeln widmeten sie eine volle Stunde. Ihr Ziel: Zweifel säen. Das ist ihnen stellenweise gelungen. „Entscheidend ist für uns, daß die Täterschaft nicht nachgewiesen werden kann“, sagte Börner am Rande des Verfahrens.

Sollte Klaus Geyer dennoch verurteilt werden, so müsse das von der Anklage geforderte Strafmaß gesenkt werden, verlangte Börner. Nicht acht Jahre Haft kämen in Betracht, sondern höchstens sechs Monate bis fünf Jahre. Zugunsten des Angeklagten sei davon auszugehen, daß Veronika Geyer-Iwand ihren Mann „durch Beleidigung“ zum Zorn gereizt habe und es sich daher um einen „minderschweren Fall des Totschlags“ handle. Ziehe man zudem eine Tat im Affekt in Betracht, müsse die Strafe noch weiter gemindert werden.

Über Klaus Geyer sitzen fünf Männer zu Gericht: drei Richter und zwei Schöffen. Zu einer Verurteilung kann es nur kommen, wenn vier der fünf von Geyers Schuld überzeugt sind. Sind zwei für einen Freispruch – auch wenn diese beiden die Laien sind –, kommt Klaus Geyer frei.

Doch selbst wenn der Pfarrer den Saal 118 des Braunschweiger Landgerichts als freier Mensch verläßt, ist er hart gestraft. Er hat alles verloren, was sein bisheriges Leben ausmachte: seine Ehefrau, seine Arbeitsstelle, das Vertrauen seiner Kirche und seiner Gemeinde. Und der Verdacht, er habe seine Frau umgebracht, man habe es ihm nur nicht beweisen können, wird stets an ihm hängenbleiben.