Die Regierung bittet zur Kasse

Der Mehrwertsteuersatz steigt mit dem heutigen Tag von 15 auf 16 Prozent. Dadurch sollen die Beiträge zur Rentenversicherung stabil bleiben  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Heute tritt in Kraft, was von der großen Steuerreformdebatte übriggeblieben ist: Der Mehrwertsteuersatz für Klamotten, CD-Player und Bohrmaschinen steigt von 15 auf 16 Prozent. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel, Bücher und Zeitungen bleibt konstant bei sieben Prozent. Miete und ärztliche Leistungen bleiben nach wie vor mehrwertsteuerfrei.

Bereits im Dezember hatte die Bonner Regierungskoalition mit der SPD diese Erhöhung vereinbart, um die Lohnnebenkosten niedrig zu halten. Es soll dadurch verhindert werden, daß die Rentenbeiträge von 20,3 Prozent im vergangenen Jahr auf über 21 Prozent steigen. Lutz Freitag, Chef der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), hatte versichert, daß mit der höheren Mehrwertsteuer der Rentenbeitrag wahrscheinlich sogar auf 20 Prozent sinken werde.

Der Durchschnittsverbraucher wird künftig ein halbes Prozent mehr für seine Lebenshaltung ausgeben müssen. Für den Rest dieses Jahres kann der Staat mit Mehreinnahmen von zehn Milliarden Mark rechnen, pro volles Jahr werden es rund 15 Milliarden sein.

Wen trifft nun die Steuererhöhung am meisten? Zwar hatten die Koalition und die SPD aus „sozialen Gründen“ bewußt auf eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel verzichtet. Trotzdem werden Haushalte mit niedrigen Einkommen stärker belastet als Besserverdienende. Das ergaben Modellrechnungen, die das Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gestern veröffentlichte.

Demnach haben die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen eine Mehrbelastung von 0,54 Prozent zu verdauen, etwas stärker sind mittlere Einkommen um die 3.000 Mark netto belastet, nämlich mit knapp 0,6 Prozent Mehrausgaben für Konsumgüter. Doch dann fällt die Mehrbelastung rapide ab. Ab 12.000 Mark Monatseinkommen beträgt sie unter 0,4 Prozent. Das liegt daran, daß Familien mit mehr Einkommen einen größeren Teil des Geldes sparen. Auf dieses Geld wird aber keine Mehrwertsteuer erhoben.

So ist die Mehrwertsteuer eine sozial eher ungerechte Steuer, anders als Lohn- und Einkommenssteuern, bei denen die Steuerlast mit steigendem Gehalt ebenfalls wächst. In absoluten Zahlen schwanken die zusätzlichen Kosten pro Haushalt zwischen sechs und 50 Mark. Konkret bedeutet das: Ein Arbeitnehmer-Haushalt mit einem verfügbaren Einkommen von 2.100 Mark muß elf Mark im Monat mehr ausgeben, bei gut 6.000 Mark Einkommen wären es 31 Mark. Ein Selbständigen-Haushalt mit 15.000 Mark Einkommen käme auf gut 50 Mark.

Dennoch urteilen die DIW-Forscher milde über die neue Steuer. Die ohnehin nachteilige Wirkung der Mehrwertsteuer für kleine Einkommen werde „nicht nenneswert verschärft“. Eine Erhöhung der Rentenbeiträge wäre noch ungerechter gewesen, „weil Selbständige und Beamte nicht beitragspflichtig sind“.

Die wirtschaftliche Entwicklung wird so oder so gedämpft, egal ob man die Mehrwertsteuer oder die Rentenbeiträge erhöht: Am Ende haben die Kunden weniger Geld zum verjubeln. Fazit der DIW-Ökonomen: Die Steuerentscheidung „ist ökonomisch gerechtfertigt“.

Günstig ist da, daß derzeit die Inflationsrate auf einem Rekordtief liegt. Nach erster Schätzung des Bundesamts für Statisik liegt die Inflation im März auf sensationellen niedrigen ein Prozent. Legt der Handel die neue Mehrwertsteuer voll auf die Preise um, wird die Inflation zusätzlich um ein halbes Prozent steigen, also auf 1,5 Prozent. Durch den derzeitigen Preiskampf im Handel rechnen Ökonomen aber damit, daß die Mehrwertsteuererhöhung nicht voll auf die Preise umgeschlagen wird. Das heißt aber nicht, daß der Kunde die Mehrwertsteuererhöhung nicht spürt. Früher oder später, schätzen Fachleute, werden die Händler die Preise doch an die höhere Steuer anpassen.