Der alte Mann und das Band

■ „Das letzte Band“: Wolfram Grüsser quält sich zur Freude des Publikums durch Samuel Becketts Monodram

„Mit Dir zu reden ist sinnlos, immer derselbe Mist, wie ein Tonband mit klemmender Wiederholtaste“: Wohl jeder Mensch mußte sich solche Beschwerden über mangelnden Unterhaltungswert schon mal anhören – das ist frustrierend; wohl jeder Mensch mußte sie anderen gegen den Kopf hauen – das ist noch viel frustrierender. Der alte, ledige Krapp ist dieser Probleme ledig. Seine letzte Wirtshausexpedition liegt Jahre zurück. Ebenso der erstrebenswerte Wahnsinn, in den Augen einer Frau die ganze Welt zu erblicken. Und selbst den stummen Sex der letzten Jahre, seine Form von praktiziertem Zynismus und Menschenverachtung, hat der 69jährige ad acta gelegt. Nun kommuniziert er unter einer Folteropferverhörlampe nur noch mit gierig-liebevoll entblätterten Bananen (verwahrt in der rechten Tischschublade) und diversen Alter egos aus früheren Tagen (verwahrt auf Tonbändern in der linken Tischschublade und in Black boxes aus Pappe).

Krapp ist einer, der zielsicher jene Bananenschalen auf dem Boden ausstreut, auf denen er später ausrutschen wird. So einer produziert sich eben auch selber die Sprachbrocken, über die er 30 Jahre danach stolpern möchte. So betreibt Wolfram Grüsser auf der leergefegten Bühne des Brauhauskeller eine seltsame Form der Selbstbefriedigung unter Zuhilfenahme eines Tonbandgeräts – eine Stunde lang.

„Habe gerade ein altes Jahr abgehört.“Krapp empfindet diese Lauschangriffe auf jüngere Versionen seiner Person, zum Beispiel Schachtel drei, Spule fünf, teils als „schauerlich“, teils als „Hilfe“– unentschieden wie viele Beckettfiguren und das Leben. Erzählt der Untote vom Band von der Bootsfahrt mit Bianca durch irgendein Schilfgestrüpp, dann glückt Proust'sches Eintauch-Erinnern und breitet sich als feist-doof-liebenswertes Grinsen aus über die Züge des Alten. Clownesk heben sich die Augenbrauen. Aber sie haben nicht mehr die Kraft, die Augen mitzuziehen.

Ansonsten verliert sich Krapp in Reflexionsschlaufen weit ab vom Leben. Er hört sich zum Beispiel am Band an, wie er als junger Mann darüber nachdachte, ob er als alter Mann singen werde, und überlegt sich als alter Mann, ob er einst die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Über einstige „Sehnsüchte“und „Vorsätze“kann er nur noch lachen. Und wenn sich die Bandstimme gar in Andeutungen über mögliche „Wunder“und „Erleuchtungen“jenseits der Frauen verliert, dann versteinert die Miene des Alten. War wohl nichts.

Becketts Theaterstück paßt den manischen Selbstreflektierer ab in einem späten, desolaten Zustand. Selbst die reduzierte Kommunikationsform des Bänderbesprechens beginnt zu bröckeln. Erst nach zehn Minuten Spielzeit erklingt die erste Lautkundgebung. Sie lautet „Egrz“. Fünf Minuten später fällt ein „Ha“. Asthmatisches Atmen ist schließlich anstrengend genug.

Das „letzte Band“zum Leben droht zu reißen. Und so spielt Wolf-ram Grüsser unter der Regie von Gudrun Lelek einen Menschen, dessen Hände und Augen nur noch unter Aufbietung größter Anstrengungen mit Uhren, Stühlen, Bananen und Tonbandknöpfen zurechtkommen. Nichts gelingt, alles fällt zu Boden, genau wie Grüssers Mund- und Augenwinkel. Nur die Stirnfalten springen noch manchmal vorwitzig in die Höhe. Dieses Leben hat geschlossen. Offen bleibt lediglich die Frage, warum solch exzessiver Totalfrust für uns Zuschauer derart erheiternd und entlastend ist. Barbara Kern

Vorstellungen: 3. und 26. April sowie am 10., 16., und 24. Mai um 20.30 Uhr im Brauhauskeller