Jelzin und die Duma: folgenloser Ehestreit

Das russische Parlament nimmt seine Forderung zurück, die Wahl von Kirijenko zu verschieben. Die Opposition fürchtet, bei Neuwahlen Stimmen und Pfründe zu verlieren, und ist deshalb kompromißbereit  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Rußlands parlamentarische Opposition hat ihre Drohung wieder mal nicht wahr gemacht: Präsident Boris Jelzin sollte gestern in einer Resolution aufgefordert werden, die Wahl von Sergej Kirijenko zum Premierminister zu verschieben und Gespräche mit der Opposition aufzunehmen. Eine halbe Stunde vor der geplanten Abstimmung entsandte Jelzin seinen Pressesprecher Sergej Jastrschembski in die Staatsduma und lud die Vorsitzenden der beiden Kammern zu sich in die Residenz Rus, im Grünen vor den Toren der Hauptstadt Moskau gelegen, ein. „Das bedeutet, denke ich, der Präsident ist bereit, den Gästen zuzuhören“, sagte Jastrschembski.

Daraufhin gab die wenig kämpferisch gestimmte Duma ihr Vorhaben erleichtert auf. Die Gespräche, an denen auch Jelzins Wunschkandidat Sergej Kirijenko teilnimmt, finden heute auf dem ländlichen Anwesen statt, auf dem der Präsident gewöhnlich nur hohe Staatsgäste empfängt. Die Ehrerweisung stimmte die zahnlosen Parlamentarier noch um ein weiteres zahmer. Der Präsident versteht es immer wieder, die Eitelkeit der Opposition für seine Belange zu nutzen.

Die Parlamentarier nahmen mit großer Mehrheit eine Erklärung an, in der nur noch Gespräche über die Bildung der Regierung am Runden Tisch gefordert wurden. Dem schloß sich der Föderationsrat an.

Die folgenlosen Drohgebärden gehören inzwischen zum Standardrepertoire der kommunistischen Fraktion, die nur noch für das unzufriedene Fußvolk Seifenopern inszeniert, um ihr Gesicht zu wahren. Die Zuständigkeiten des Parlaments sind nach der russischen Verfassung recht begrenzt. Lehnt die Duma den von Jelzin vorgeschlagenen Anwärter ein drittes Mal ab, kann der Präsident die Vollversammlung auflösen und Neuwahlen ausschrieben.

Trotz Unzufriedenheit in den Provinzen würde die kommunistische Partei davon nicht profitieren. An ihrem linken Rand dürften erhebliche Wählersegmente zur radikaleren Linken abwandern. Der Generalsekretär der KP, Gennadi Sjuganow, fürchtet Neuwahlen und den Zorn der Wähler. Auch Chauvinistenchef Wladimir Schirinowski – gewöhnlich äußerst empfänglich für Turbulenzen und Tohuwabohu – hält nichts von einem neuen Wahlgang. Er und seine Partei würden womöglich die Fünfprozenthürde gar nicht mehr überspringen. Andererseits endet die laufende Legislaturperiode erst im Dezember 1999, da bleibt noch ausreichend Zeit, um zusätzliche Pfründe an Land zu ziehen.

Nach den Gesprächen in Rus lassen sich die Kommunisten sicherlich nicht darauf ein, schon morgen die Wahl des 35jährigen Kandidaten Kirijenko erfolgreich durchzuziehen. Es gilt, Zeit zu gewinnen und dem Präsidenten einige kleinere Zugeständnisse, seien es auch nur Versprechungen, abzuringen. Erfahrungsgemäß geht Jelzin mit Zusagen nicht kleinlich um.

Eigentlich wäre das heutige Treffen eine Routineveranstaltung. Im November versprach Boris Jelzin, alle wichtigen Fragen im Kreis der „Großen Vier“ – Vorsitzende der beiden Parlamentskammern, Premier und Präsident – zu erörtern. Im Gegenzug verzichteten die Kommunisten darauf, die Regierung durch ein Mißtrauensvotum zu Fall zu bringen.