■ Mit Schiphol auf du und du
: Wachstum ohne Grenze

Amsterdam (taz) – Seit dem Flugzeugabsturz in Amsterdam vor fünf Jahren hat sich die Zahl der Passagiere in Schiphol fast verdoppelt: 30 Millionen betreten jährlich den größten niederländischen Flughafen bei Amsterdam. Die von der Regierung 1994 festgelegte „Schallgrenze“ von 44 Millionen ist in Sicht. Nach Berechnungen des Niederländischen Amtes für Statistik (CPB) könnte der viertgrößte Flughafen Europas im Jahr 2020 locker 60 Millionen Passagiere durchschleusen.

Eine fünfte Piste ist im Bau; über eine sechste wird bereits nachgedacht. Ob es jemals einen Ausweichflughafen im Flevoland oder auf einer Nordseeinsel geben wird, ist mehr als fraglich. Die Insellösung würde bis zu 80 Millionen Mark kosten, und an jedem anderen Ort würde sich in dem dichtbesiedelten Land dasselbe Problem stellen wie in Schiphol.

Umweltschützer und Grüne kämpfen einsam gegen die endlose Ausbreitung. Schließlich sichert der Flughafen 40.000 Arbeitsplätze direkt, und weitere 40.000 hängen über Zulieferer und Dienstleister an Schiphol. Firmen aus der ganzen Welt siedelten sich hier an und nutzen Schiphol als Verteilungszentrum für ihre Ware. Die Mietpreise am Flugplatz im „World Trade Center“ sind die höchsten im ganzen Land: 550 Mark pro Quadratmeter.

Gegen den Boom helfen auch Grenzwerte nicht. Erst im Jahre 1995 wurden überhaupt Obergrenzen für Fluglärm und für die jährlich zugelassenen Flüge festgelegt. Im vergangenen Jahr beschloß das Kabinett unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wim Kok, die Flughafenleitung dürfe sie „ausnahmsweise“ überschreiten, um bereits festgelegte Flugpläne nicht zu gefährden. Die Ausnahme ist schnell zur Regel geworden. Vor acht Wochen stimmte das Kabinett zu, bis 2003 in jedem Jahr 20.000 zusätzliche Flüge zu erlauben.

Fluggesellschaften, allen voran die heimische KLM, hatten 40.000 zusätzliche Flüge gefordert. Im Jahr 2003, wenn die fünfte Piste fertig ist, werden in unmittelbarer Nähe des Amsterdamer Stadtgebietes 460.000 Flugzeuge starten und landen. Das sind knapp 1.300 am Tag. Die Gegner der Ausweitung fürchten vor allem um die Gesundheit der Anwohner: 40.000 Menschen sind selbst nach offiziellen Angaben vom Lärm „ernsthaft betroffen“. In der Umgebung des Flughafens werden 14 Prozent mehr Schlafmittel konsumiert als im Landesdurchschnitt.

Angesichts des Desasters von 1992 fürchten manche aber auch um ihr Leben. Jeder weiß hier, daß bei der Flughafenfeuerwehr im Schnitt einmal pro Jahr Großalarm gegeben wird. Achtzigmal stehen die Brandschützer „parat“ an der Bahn. jgo