Pferdestärken, die fürs Leben wappnen

■ An der Massenuni besteht Leistung schon darin, zu überleben, meint Hans J. Kleinsteuber

Wir alle wissen doch, was der Quotient aus Arbeit und der dazu benötigten Zeit ausdrückt? Richtig, das ist die Leistung – physikalisch beschrieben. Ob das alle so sehen, die sich derzeit berufen fühlen, über Leistung zu reden? Die Latte wird dabei hoch gelegt. „Leistung soll sich lohnen“, lautet nur eine Schlagzeile, mit der sich Zukunftsminister Jürgen Rüttgers gern zitieren läßt.

Auch im Regierungsentwurf zum Hochschulrahmengesetz ist viel von Leistung die Rede. Gute Universitäten sollen für ihre Leistung belohnt werden, gute Professoren auch und gute Studierende allemal. Rüttgers will entrümpeln, will überholte Berufsbilder reformieren. Schließlich drängten zu viele Akademiker bisher in den Staatsdienst, die sollten sich nun auf den Privatsektor umorientieren.

Klingt gut und gilt sicher für Juristen, wie auch Rüttgers einer ist. Die meisten Studierenden kommen aber aus anderen Disziplinen. Wir in den Sozialwissenschaften sind Realisten. Wir machen unseren Studierenden klar, daß sie in der politischen Klasse kaum geachtete Fächer studieren. Es ist halt auch ein Lernprozeß, sich auf schwierige Berufseinstiege einzustellen, die eigenen Chancen abzuschätzen. Das kriegen die Studierenden, wie Absolventenstudien belegen, inzwischen recht gut hin. Hochschullehrer können da nur allgemeine Hilfen geben, Verfahren des systematischen Wissenserwerbs vermitteln, eine Flexibilität im Bewältigen von Problemen mitgeben.

Was wissen unsere Hochschulpolitiker eigentlich vom deutschen Nachwuchs? Von seinen postmodernen Survivalstrategien im Dschungel der ewigen Gestrigkeit? Einer unserer früheren Schüler wurde mit Immobilien vielfacher Millionär und macht nun in Medien, sicherlich eine ganz eigene Art von Leistung. Doch was genau ist Leistung? Als Quotient aus Arbeit und Zeit kommen „Pferdestärken“ heraus, PS, also Dynamik und Kraft. Energien, die auf Veränderung drängen. Leistung ist keine abstrakte Größe, sie bemißt sich am Erfolg.

Am einfachsten geht das noch über Noten, etwa über den erfolgreichen Universitätsabschluß. Einst wurde er gemessen im ehrwürdig-lateinischen „cum laude“, heute geschieht dies in schlichten Zahlen („gut = 2,0“), morgen wird es der modisch-schicke „Europäische Credit Transfer“ sein. Manche halten den Erwerb solcher Grade für eine Leistung per se.

Parlamente und Handelskammern halten es da eher mit herkömmlichen Elitevorstellungen. Meistens meinen sie damit wohl eher die Rekrutierung ihrer selbst. So wächst ihnen eine exklusive Technische Universität ans Herz oder eine Law School der Zeit-Stiftung.

Leistung ist aber auch, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Im studentischen Massengeschäft besteht Leistung schon darin, trotz aller Widrigkeiten zu überleben. Wer da durchkommt, ist fürs Leben draußen tatsächlich gut gewappnet. Das geschieht täglich in den rechnerisch spottbilligen Sozialwissenschaften.

Leistung sollen immer die anderen erbringen. Rüttgers ist beispielsweise ein eher erbärmlicher Wissenschaftsminister, der viele Versprechungen abgab, aber für Forschung und Lehre bisher kaum Geld herausschlug. Der nicht verhindern mochte, daß in Prestigesektoren, wie der bemannten Raumfahrt, nun neue Milliarden fließen, die anderswo schmerzlich fehlen werden. Leute wie er und ihr Elitewahn sind dafür verantwortlich, daß wir am Standort Deutschland seit Jahrzehnten vermeinen, Spitzenforschung käme immer oben und aus der Größe heraus. Die großen Apparate haben es leicht, in Bonn auf sich aufmerksam zu machen. Realität ist allerdings, daß die pfiffige Idee, die Innovation eher an der Peripherie entsteht. Dafür ist die Universität mit ihrem offenen Klima seit undenklichen Zeiten ein geeigneter Ort. Sicher muß sie auch Routineausbildung leisten, und das möglichst gut. Aber ohne ihre Funktion als Ort des Rückzugs, des Freiraums für das Nichtalltägliche hätte sie ein zentrales Ziel verfehlt. Kreativität kann nicht beordert, ihr kann nur ein fruchtbarer Boden bereitet werden. Und der ist offensichtlich bei uns verdorrt.

Die vielbeschworenen und selten verstandenen amerikanischen Universitäten bieten dagegen genau diese Chance zum Rückzug. Nehmen wir das Beispiel Information- Highway. Im Windschatten der Stanford University erdachten Tüftler in Hinterhof-Garagen den PC und bereiteten den Dinosaurierrechnern der ehemals allmächtigen IBM das Ende. Das Silicon Valley vor den Toren der Universitätsstadt Palo Alto war die Belohnung. Das Internet ist – nach kurzem militärischem Vorspiel – ein kollektives Produkt der internationalen, vor allem aber amerikanischen Universitätsgemeinde. Freigabe von Phantasie setzt voraus, daß Spieltriebe als nützlich angesehen und entsprechende Maschinen bereitgestellt werden. Um den leistungsfähigen Anschluß an den Info-Highway kämpfen wir an unserer Universität bis heute.

Leistung unter den gegebenen Bedingungen wäre es, endlich klare Kriterien zu erarbeiten, an denen wir uns messen können. Da werden wir nicht schlecht abschneiden. Aber geht es wirklich um Leistung? Rüttgers will „unter den Talaren frische Luft nach all den Jahren“. Aber wenn in CDU-Bundesländern Professoren tatsächlich tuchbehängt auftreten, dann schaut er weg. Vielleicht gelingt es doch noch, die Bonner heiße Luft energetisch in Leistung umzusetzen. Wenn Sie daran arbeiten wollen, Herr Rüttgers, in der Hamburger Physik sind – anders als im Hoch-NC-Fach Politische Wissenschaft – noch Studienplätze frei!

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft und Journalistik in Hamburg