Algerien wird zum zweiten Mal arabisiert

■ Per Regierungserlaß sollen Französisch und die Berbersprache ausgemerzt werden

Madrid (taz) – Die algerischen Beamten erhalten es dieser Tage schriftlich: Ihr Land wird endgültig arabisch. Alle Ministerien werden von Regierungschef Ahmad Ujahia aufgefordert, dafür zu sorgen, daß sämtliche Amtskorrespondenz ab dem 5. Juli nur noch „in der alleingültigen nationalen Sprache“ abgefaßt wird. Dann nämlich tritt das 1996 von dem durch die Militärs ernannten Übergangsparlament verabschiedete Sprachgesetz in Kraft. Französisch – die Sprache der algerischen Wirtschafts- und Machtelite – soll spätestens bis zum Jahr 2000 aus dem algerischen Leben verschwinden. Das gilt sowohl für den Unterricht an Gymnasien und Universitäten als auch bei Vertragsabschlüssen mit ausländischen Firmen. Ob es dann auch den zehn überregionalen französischsprachigen Tageszeitungen – auf arabisch erscheinen nur zwei – an den Kragen geht, dazu schweigt sich die Regierung bisher noch aus.

Dem Tamasight – die Sprache der 25 Prozent der Bevölkerung ausmachenden Berberminderheit – wird es nicht besser ergehen. Den Berbern werden die wenigen Zugeständnisse aus den Jahren nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems der Nationalen Befreiungsfront (FLN) 1988, wie Fernseh- und Radiosendungen in Tamasight, wieder genommen.

Staatsbedienstete, die nicht zukünftig im Amt ausschließlich arabisch sprechen, müssen mit einer Strafe von umgerechnet bis zu 200 Mark rechnen – immerhin 80 Prozent eines durchschnittlichen Facharbeiterlohnes.

Die Urheber der Verordnung sind in konservativ-islamischen Kreisen im Machtapparat zu suchen. Sie instrumentalisieren die arabische Sprache, „nicht etwa um das Land kulturell zu emanzipieren, sondern um es ideologisch zu dominieren“, schimpfte in einem Leitartikel die französischsprachige Tageszeitung El Watan, als die Briefaktion von Regierungschef Ujahia bekannt wurde. Die neue Sprachpolitik ruft unangenehme Erinnerungen wach. Denn es ist nicht das erste Mal, daß in Algerien Französisch als Amtssprache abgeschafft werden soll. Bereits Anfang der achtziger Jahre setzte sich unter dem damaligen Präsidenten Chadli Bendschedid der populistisch, islamistische Flügel der FLN mit einem Programm zur Verteidigung „der Sprache des Korans und aller Muslime“ durch. Schulausbildung auf arabisch wurde eingeführt, französische Straßenschilder wurden übermalt, die französischsprachigen Programme in Funk und Fernsehen eingestellt.

Doch diese Politik scheiterte jämmerlich. Denn die Kinder lernten fortan in den Schulen nicht etwa das in Algerien und in den Nachbarländern übliche Maghrebarabisch, sondern Hocharabisch, eine Sprache, die kaum mit dem übereinstimmt, was im Land gesprochen wird. Selbst die Reden von Staatschef Chadli Bendschedid aus jener Zeit wirkten hölzern.

Nicht einmal, wer eine vollständige arabische Schul- und Berufsausbildung durchlaufen hatte, verfügte normalerweise über genügend Kenntnisse, um sich fließend auf Hocharabisch auszudrücken. Vor allem in technischen und akademischen Berufen fehlte den arabisierten Jugendlichen das Französisch. Ob einfache Gebrauchsanweisungen, Handbücher oder wissenschaftliche Abhandlungen, die Sprache der einstigen Kolonialherren war weiterhin präsent. Sie nicht zu beherrschen, bedeutete häufig Arbeitslosigkeit.

Trotz dieser Erfahrungen begrüßen die Verantwortlichen der Bildungsmisere von einst, der orthodoxe Flügel der FLN, die erneute Arabisierungskampagne durch Präsident Zéroual. „Das Wiederinkrafttreten dieses Gesetzes, ist ein wichtiges Ereignis, im Einklang mit den Ideen und den Kämpfen des Volkes im Lauf der Geschichte“, heißt es in einer Erklärung der Nostalgiker. Was die selbsternannten Verteidiger der historischen Werte verschweigen: Gerade die frustrierten arabisierten Hochschulabsolventen bildeten den Nährboden für den aufkeimenden Islamismus. Von den Vertretern einer arabisierten, antiwestlichen Politik versprachen sich die arbeitslosen Jungakademiker eine Zukunftschance. Daß weder diejenigen, die für die Arabisierung verantwortlich zeichneten, noch viele Islamistenführer auf Französisch verzichten wollten, nahm dabei kaum jemand wahr. Eines der bekanntesten Beispiele ist Abassi Madani. Der ehemalige FLN-Anhänger und spätere Mitgründer der Islamischen Heilsfront (FIS) schickte seine zwei Kinder auf französischsprachige Elitegymnasien in Algier. Reiner Wandler