Fertig für den Reißwolf

■ Kaum geschrieben, schon vergessen: Das Schicksal der Examensarbeit

Das hätte Guildo Horn wohl nicht gedacht, daß seine Diplomarbeit „Die Befreiung von der Vernunft“ 1998 die meistzitierte Deutschlands sein würde. Gewöhnlich geraten die Abschlußarbeiten der Studis nämlich noch schneller in Vergessenheit als die singenden Retortenprodukte des Schlagerpaten Ralph Siegel.

Fünf Jahre währt die Aufbewahrungsfrist für Diplom- und Magisterarbeiten, die freilich nicht mehr als eine Art Koma vor dem endgültigen Verschwinden der halbwissenschaftlichen Errungenschaft ist. Meist harren die studentischen Spätwerke der Fristverstreichung in irgendwelchen Hochschularchiven, in Kellern oder auf Dachböden. Statt das Wissen der Menschheit füttern sie irgendwann den Reißwolf.

Diesem Schicksal entgehen nur die wenigsten Schriften, was der stellvertretende Leiter der Bibliothek an der Berliner Humboldt- Uni (HUB), Norbert Martin, auch okay findet. „Bei vielen Diplomarbeiten ist der wissenschaftliche Ertrag ja nicht so überragend“, meint er. Sei eine Arbeit wirklich gut, so würden die Hochschullehrer meist dafür sorgen, „daß die wesentlichen Ergebnisse in einer Fachzeitschrift oder Broschüre publiziert werden“.

Ansonsten gilt die Vielfalt der Sammelmethoden. An der Universität Hamburg etwa werden alle guten Magisterarbeiten der Politologen mit der Aufnahme in die Fachbereichsbibliothek gewürdigt, genauso handhaben es die Publizisten an der Freien Universität Berlin. Und an der Berliner Humboldt-Universität startet aus wissenschaftshistorischen Gründen demnächst gar ein Projekt, um die teilweise aus DDR-Zeiten archivierten Diplomarbeiten intensiv zu erschließen.

Eindeutig ist die Regelung dagegen bei den Dissertationen, die allesamt in den Archiven der Deutschen Bücherei in Frankfurt am Main und in Leipzig registriert sind. Für Doktorarbeiten besteht eine Veröffentlichungspflicht. Ein Grund, warum unzählige Dissertationsverlage überleben. Den Anteil von Diplom- oder Magisterarbeiten, die in irgendeiner Form publizistisch verwertet werden, schätzt Norbert Martin hingegen auf unter zehn Prozent.

Daß da manches Potential schlummern könnte, brachte den Chef eines Kreuzberger Ein- Mann-Filmbuchverlags schon vor Jahren auf eine Idee: Dieter Bartz sah sich damals einfach mal die 300 im FU-Institut für Theaterwissenschaften gesammelten Diplomarbeiten auf mögliche Buchthemen durch. In zwei Fällen wurde er fündig. Das daraus folgende Buch über die legendäre TV-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ avancierte zu einem seiner bestverkauften Verlagstitel.

Das brachliegende diplomierte Wissensfeld versuchen seit geraumer Zeit auch einige Vermittlungsagenturen zu beackern. Rund 20 tummeln sich mittlerweile im Internet. Nur vier davon hält der Hamburger Björn Bedey aber für wirklich seriös, seine eigene natürlich eingeschlossen.

Sie nennt sich Diplomarbeiten- Agentur und ist seit einem Jahr im Geschäft. Rund 750 Arbeiten aus allen Bereichen sind momentan in der Datenbank gespeichert. Wöchentlich verkauft Bedeys Agentur inzwischen 10 und 15 Arbeiten. Zu den Stammkunden gehören vor allem Unternehmensberatungen. Die zahlen für ein Exemplar 396 Mark, wovon die Hälfte an die Studis geht. Kaufen Studenten von Studenten, bekommt der Autor 30 Mark und der Käufer eine Rechnung über 120.

„Ein gutes Geschäft für alle Beteiligten“, sagt Bedey, „denn der Studi hat kein Risiko.“ Er müsse nur seine Diplom- oder Magisterarbeit kopieren und verschicken. Inzwischen melden sich auch zunehmend Uni-Mitarbeiter und bieten Aushänge für die marktwirtschaftliche Alternative zum „Arbeit schreiben, abgeben, vergessen“ an. Gunnar Leue