Schröder ist Westen, die PDS ist Osten

Auch die PDS leidet unter dem neuen Sog der SPD. Auf ihrem Parteitag am Wochenende will sie ihren oppositionellen und ostdeutschen Charakter stärken. Sie verabschiedet ihr Wahlprogramm und ein „Rostocker Manifest“  ■ Von Jens König

Berlin (taz) – Die Mundwinkel von André Brie hängen noch tiefer als sonst. Der Wahlkampfchef der PDS, ein intellektueller Typ, der ohnehin immer etwas verbittert dreinschaut, hat ein Problem: Seine Partei hält am Wochenende ihren Wahlparteitag ab, und von Berufs wegen müßte Brie Optimismus ausstrahlen. Ihm ist jedoch nicht zum Strahlen zumute. Brie weiß aber auch, was Parteidisziplin ist. Also sagt er: „Ich bin nicht frustriert.“ Es klingt wie: Ich darf nicht frustriert sein.

Der Wahlkampfchef kann nicht verbergen, daß ihm mehrere Fehlschläge der letzten Wochen noch in der Knochen stecken: die gescheiterte Direktkandidatur von Elmar Schmähling in Berlin-Mitte/ Prenzlauer Berg, der Streit mit den Landesverbänden über das Wahlkonzept der offenen Listen, die fast zum Stillstand gekommene programmatische Diskussion innerhalb der PDS. Und ausgerechnet Brie selbst hat seiner Partei auch noch eine völlig überflüssige Panne beschert: Vor zwei Wochen trat er von seinem Posten als Wahlkampfleiter zurück – um 24 Stunden später wieder anzutreten.

Kurz vor ihrem Wahlparteitag ist die PDS nervös geworden. Jetzt, wo sie Gewißheit ausstrahlen müßte, daß sie bei der Bundestagswahl fünf Prozent erreicht, verliert sie an Selbstvertrauen. „Wenn wir nicht aufpassen“, sagt einer aus dem Parteivorstand, „dann rutschen wir genauso so schnell in den Keller wie die Grünen.“

Der mögliche Auslöser dafür hat den gleichen Namen wie die Krise bei den Grünen: Gerhard Schröder. „Wenn die Wahl auf eine reine Polarisierung zwischen CDU und SPD hinausläuft“, meint der Berliner Parteienforscher Richard Stöss, „läuft die PDS Gefahr, daß sie unter die Räder kommt.“ Die PDS-Spitze sieht das entspannter, aber einen Sog durch die SPD räumt sie ein. „Der charismatische Schröder kommt auch bei Ostdeutschen an“, sagt Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei. Dazu der personenbezogene Wahlkampf nach amerikanischem Muster. „Machen wir uns nichts vor“, so Bartsch, „das wird schwer für uns.“

Die Chancen der PDS, bei der Bundestagswahl die Fünfprozenthürde zu überspringen, sind auch nach einer parteieigenen Umfrage gesunken. Das Berliner Info-Institut ermittelte nach einer repräsentativen Befragung von knapp 1.500 potentiellen WählerInnen in Ost und West im März 1998 einen Anteil von 4,4 Prozent der Zweitstimmen. Bei den Erststimmen sieht es anders aus: 5,2 Prozent der WählerInnen wollen einem PDS-Kandidaten ihre Stimme geben. Wahlkampfchef Brie nennt als Ursache für diesen Unterschied vor allem den Schröder-Effekt. Laut Umfrage ordnet sich ein Drittel der PDS- WählerInnen im Links-Rechts- Spektrum eher in der Mitte ein – genau diese WählerInnen könnte die PDS an die SPD verlieren.

Der PDS-Spitze macht noch ein anderes Umfrageergebnis Sorgen. Mit zwölf Prozent der WählerInnen finden nur noch halb so viele wie 1994 die Partei glaubhaft und vertrauenswürdig. Das Image der Partei verblaßt – und das in einer Situation, in der mit Schröder der Machtwechsel näherrückt. Da verfängt bei einem Teil der PDS- WählerInnen die Losung, die die Partei so demagogisch findet: Jede Stimme für die PDS ist eine Stimme für Kohl. Wer den Wechsel will, wählt plötzlich Schröder.

Was hilft gegen den Druck, der aus der Mitte kommt? Die PDS guckt nach links – und entdeckt, daß dort plötzlich mehr Platz ist. „Schröder mag für alles mögliche stehen, für linke sozialdemokratische Politik steht er ganz gewiß nicht“, sagt Dietmar Bartsch. „Das ist unsere Chance.“ Und der Geschäftsführer der PDS gibt auch gleich die neue Parole vor: „Die PDS muß ihren oppositionellen Charakter verstärken.“ Auf ihrem letzten Parteitag 1997 in Schwerin konnte die Partei dem staunenden Publikum nicht oft genug erzählen, daß sie endlich bei den Großen mitspielen und Regierungsverantwortung übernehmen will, und jetzt das: Opposition als Traumziel. Der zweite Teil der neuen Parole lautet: Schröder ist der Westen, und wir sind der Osten. „Die SPD setzt mit Schröder ganz klar auf die westdeutsche Karte“, so Bartsch. „Für den ist Ostdeutschland nur eine Randgröße.“ Ab jetzt wird die PDS dem SPD-Kanzlerkandidaten die Sätze um die Ohren hauen, die dieser im niedersächsischen Wahlkampf von sich gegeben hat. „Wir können die neuen Länder ja nicht an Polen abtreten“, hat Schröder da gesagt und: „Im Osten sind die früheren LPG mit Leuten besetzt, die das Wort kaum schreiben können.“

Oppositionell und ostdeutsch – diese beiden Eckpunkte ihres Profils will die PDS auf ihrem heute beginnenden Parteitag in Rostock in zwei verschiedenen Papieren formulieren. Der oppositionelle Charakter der Partei soll mit dem Wahlprogramm deutlich gemacht werden, und für das ostdeutsche Profil steht das „Rostocker Manifest“. Die PDS meint, daß sie die einzige Partei ist, die mit ihrem Wahlprogramm die Frage des gesellschaftlichen Reichtums thematisiert. Sie will das Recht auf Arbeit und Ausbildung in die Verfassung aufnehmen sowie eine soziale Grundsicherung einführen. Sie schlägt die Einführung einer Luxussteuer von 21 Prozent vor und will den Spitzensteuersatz bei 53 Prozent belassen. Und sie ist die einzige Bundestagspartei, die gegen die Einführung des Euro ist.

In ihrem „Rostocker Manifest“ schlägt die PDS ein Pilotprojekt Ost, „Gerechtigkeit und Entwicklung“, vor. Erarbeitet worden ist dieses Papier von dem Politologen Dieter Klein, Mitglied des PDS- Vorstands, sowie der Wirtschaftswissenschaftlerin und Bundestagsabgeordneten Christa Luft. „Der Osten soll nicht zur Peripherie des rheinischen Zentrums werden“, sagt Dieter Klein „sondern zu einer Zukunftsregion in Europa. Das ist der Grundgedanke des Manifests.“ Auf Länderebene will die PDS Innovationsprogramme für den sozial-ökologischen Umbau im Osten auflegen. Finanziert werden sollen diese Programme durch einen „Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben“ oder eine „Investitionsbank Ost“. Die dafür notwendigen Entscheidungen in Bonn sollen in einem Staatsvertrag zwischen dem Bund und den sechs ostdeutschen Ländern zusammengefaßt werden.

Was passiert mit den ganzen hochfliegenden Plänen, wenn die demokratischen Sozialisten nicht in den Bundestag kommen? Die PDS-Spitze verbietet sich, daran zu denken. Aber Geschäftsführer Dietmar Bartsch hat seiner Partei schon mal angedeutet, wohin die Reise geht, wenn die PDS im Herbst scheitern sollte: „Dann wird bundespolitisch am 28. September bis auf weiteres letztmalig von uns zu hören sein.“