Badezimmer-Archäologie

■ Bilder, Fotos, Skulpturen aus Lissabon in der Städtischen Galerie im Buntentor

Leben ist, wenn man vom Fahrrad fällt, und am Boden lauert eine Glasscherbe, oder wenn man den Kaffee zuckert, und er schmeckt wie Meerwasser nach Salz. Manchmal aber fügt sich alles verdächtig wundersam. Zum Beispiel bei der aktuellen Gruppenausstellung in der Buntentor-Galerie. Nicht nur, daß die Galerie endlich mal ihrem ausgelassenen Namen gerecht wird, in putzig-pastelligen Tönen schwelgt und unseren Fotografen zum Weinen bringt, weil die taz nicht so schöne (Ironie, Ironie) Farbseiten hat wie der Weser-Kurier. Vier Menschen aus verschiedensten Ecken Europas werkeln sich an unterschiedlichsten Materialien ab und treffen sich doch im Wesentlichen, in ihrer Liebe zum Dasein. Und Veronika Dobers stimmt im Raum nebenan fröhlich mit ein. Zwar existieren Menschen, die behaupten, daß Liebe-zum-Dasein die häßlichste Drei-Wörter-Gruppe ist neben Rinder-Augen-Eintopf und Schröder-wird-Kanzler, daß es Liebe zum Dasein nicht geben kann – und in der Kunst schon gleich gar nicht. Aber was soll man sagen, wenn sich Waschbeckenunterteile heroisch zu Säulenwandelhallen firmieren, wenn makellose Beiß-rein-Äpfel verführerisch auf einer Samtdecke lungern und Steinbrocken sich ineinanderfügen, als wäre die Welt ein Puzzle, bei dem jeder Hubbel seine passende Delle findet.

Aber von vorne: Der Bremer Volker Schnüttgen wanderte vor sieben Jahren nach Lissabon aus. Exilgrund: Fesseln. In Gestalt einer Frau. Natürlich. Aus seiner neuen Heimat hat er der alten drei KollegInnen mitgebracht, denen er sich künstlerisch verwandt fühlt. Der erste Blick sagt, der Mann spinnt, der zweite gibt ihm Recht. Es geht um Formspiele mit allem Irdischen, egal ob versteinertes Urviech oder Tupperware.

Ana Arabaolaza aus Madrid läßt auf ihren quadratisch-romantisch-glutigen Fotostilleben zum Beispiel eine orangefarbene Rosenblüte mit drei glanzbackigen Granatäpfeln plaudern, in dramatischer Ausleuchtung auf süßlichem, pelzigem Bettvorleger. Oder sie inszeniert das tragische Schattenspiel von der einsamen Birne, die von ihren Artgenossen aus der Obstschale ausgewiesen wurde, in leuchtend-hellen Tourismuskatalogkitschfarben. Tote Natur darf hier Geschichten erzählen und bedient sich dabei, ein bißchen wie Cindy Sherman, der plüschig-noblen Requisiten der Kunstgeschichte – und der Ästhetik von Revolverblättern.

Isabel Augusta aus Lissabon läßt ein kleines, abstraktes Collage-Wesen – mal scheint es einen TV zur Mutter zu haben, mal eine Couch zum Vater – harmonisch-zentriert im quadratischen Bildfeld vor sich hin spielen. Verziert ist es mit einem Kringel hier, mit einen Kamm dort. „Heiter und entspannt wie Matisse“, flüstert Schnüttgen ehrerbietend, „nicht düster-dramatisch wie Picasso“. Auch nicht hochenergetisch und durchkonstruiert wie Kandinski, sondern lustig-torkelnd wie Straßenbahnfahren auf den Hügeln Lissabons.

Schnüttgen selbst entdeckte auf Exkursionen um die weiße Stadt Steinbrüche mit den unterschiedlichstem Kalkgestein. Mal ist das Kalziumcarbonat makellos schwarz und von filigransten weißen Äderchen durchzogen, mal ist Durchsichtiges und Rötliches kräftig durcheinandergerührt wie Mutters Marmorkuchen, mal präsentiert sich der Kalk in fast schon metallischem Anthrazit, und manchmal windet sich darin eine Schnecke. Zu dieser erstaunlichen Verwandlungskunst benötigte die Erdgeschichte nichts weiter als ein paar Spuren Mineralstoffe und ein paar Jahrmillionen kräftiges Pressen. Durch unterschiedliche Oberflächenbearbeitungen unterstreicht Schnüttgen die „Charaktere“seiner Gesteinsbrocken. Manchmal gruppiert er sie zu konstruktivistischen „Bildern“an der Wand, „wie Bruchstücke eines Monuments“. Manchmal baut er am Boden eine schorfige Hügellandschaft. Darauf zerstreuen sich fantastische Zitrusfrüchte, teils vereinzelt, teils gruppenbildend, wie die Menschen auf einer mittelprächtigen Party.

Der Clou der Ausstellung aber ist die Badezimmerkunst des Norwegers Kjetil Berge. Scheinbar entledigen sich nur die Deutschen ihrer Körperausdünstungen in schneeweißer Kulisse. Jedenfalls hat Berge in Lissabon delikate, lindgrüne, fliederfarbene, anemonengerötete Waschbeckenunterbauten aufgetan, die er – zu Recht! – für dokumentationswürdig hält. „Eine Art Archäologie.“Parallel zur offiziösen Geschichte der Kriege schreibt er eine des Firlefanz. Ist der Künstler etwa in Liebe zu unserer bescheuerten Konsumwelt entbrannt? „Ich hinterfrage sie und bewundere sie – schließlich bleibt einem gar nichts anderes übrig.“Denn wir haben nichts Herzerwärmendes außer lila Waschbeckenunterbauten und so. Unterbauliebe also aus Einsicht in die Notwendigkeit. Eine überdenkenswerte Philosophie. Und so „versteinert“Berge – für spätere Museumsforscher – Scheuerpads oder flauschige Wattebüschel in Beton.

Und auch Veronika Dobers bekennt sich zu einer nostalgischen Ader der seltsamen Art. Seit sie in den frühen 80ern aus der DDR ausgewandert ist und in Kalifornien auf eine große Schicksalsgemeinschaft von Heimatflüchtigen stieß, konzentriert sie sich auf die Dialektik von rückwärtsgewandter Nostalgie und vorwärtstreibender Utopie. Wie Ernst Blochs Vorscheintheorie spürt sie ihrem Sehnsuchts-Thema in der Trivialkunst nach, in Stickereien, Klöppelarbeiten und herzerweichender Volksliedlyrik. Schon Gabriele Münter und Kandinski interessierten sich einst für Hinterglasmalerei. Dobers treibt diese mit Schablonen arbeitende – und denkende – Technik auf die Spitze und überträgt fein säuberlich tradierte Stickmuster mit all ihren Fehlern und Krummheiten auf das Glas. In ihrer Tüfteligkeit die alpenländische Variante des Zenbuddhismus. Von Heimat und Ferne erzählen aber auch streng durchdeklinierte Symbole. 1.Fall: Himmelblau, 2.Fall: Heiligenbild usw.: Ein Bündel (fast eine Brancusische Unendlichkeitssäule) ist geschnürt, vielleicht aber auch geknebelt. Ein steiler Berg verlockt zum Aufstieg, Überblick, Einsamkeit - oder finalen Absturz. Manchmal aber mutiert er zum Tuch, das verbirgt; vielleicht Dich. Am Ende weiß der Besucher: Erinnern ist schön, Steine, Waschlappen und Birnen sowieso. Nur gut, daß draußen vor der Tür wieder Salz und Glassplitter drohen. bk

Vernissage, heute, 19h